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Um noch einmal auf die »patrilineare Erbfolge« der Namuth- 
schen Photos von Pollocks Malprozeß zurückzukommen, und 
auf die Früchte, die diese in völlig veränderter Form in 
Mathieus Arbeit getragen haben, könnte man die These auf 
stellen, daß die Photographien, die Mathieu als müden, 
französischen Aristokraten-Dandy zeigen, die althergebrach 
ten Konventionen des männlichen Künstlers als Paradigma 
für das ideologisch zentrierte Subjekt der Moderne destabili 
sieren, indem sie den stereotypen Macho-Künstler, der »ein 
Bild malt«, theatralisieren. Zumindest könnte man behaupten, 
daß Mathieu das patriarchalische Bild vom Mann als Zentrum 
der Kunst abgeschw/ächt, \wenn auch nicht völlig demontiert 
hat. 
Die Entwicklung vom Action painting zur Aktion - via 
Photographie - wirft ein deutliches Licht auf jenes Darstel 
lungsmittel und Medium (die Photographie), durch das sich 
die Hegemonie des stabilen ästhetischen Mediums der 
Malerei auf das instabile Medium des Körpers verschoben 
hat. Paradoxerweise war das Vehikel für die Darstellung ver 
gänglicher Aktionen jedoch gleichzeitig auch der techno 
logische Reproduktionsapparat, der gemalte Darstellungen 
figurativer Sujets durch photographische ersetzte, und die 
Aktion dabei in einer konventionellen Form stabilisierte. Diese 
Dualität des photographischen Objekts wurde nie näher 
untersucht, da man eiligst darum bemüht war, die Photogra 
phie als »das transgressive Medium par exellence« auszu- 
rufen.1^’' Photographie war jedoch nicht »transgressiv«. Aller 
dings war sie bestens geeignet, den gegenständlichen und 
figurativen Inhalt des Darsteilungsmittels Aktion zu transpor 
tieren, Photos materialisierten (als Bild) die Nähe der Aktion 
zu ihrem Objekt. Insofern konnte der Körper in Aktion - ver 
stärkt durch die Fähigkeit der Kamera, den Bruchteil einer 
Sekunde dieses Moments des In-der-Welt-seins einzufangen 
- für kurze Zeit die Kontingenz und wechselseitige 
Abhängigkeit eines menschlichen Subjekts (des Künstlers) 
von einem anderen, ihm gleichgesetzten menschlichen 
Subjekt (dem Betrachter) sichtbar machen. Das war es, was 
Roland Barthes als »punctum« bezeichnet hat - die 
157 Nancy Spector, »Pertorming the Body in the 1970s«, in: Rrose is 
a Rrose is a Rrose: Gender Performance in Photography, S. 159. 
158 Roland Barthes, Camera Lucida, New York 1981. 
Aufgeladenheit eines Photos.'“ Darüber hinaus war Photo 
graphie billig, verfügbar und manipulierbar. Man konnte aus 
einer Bilderfolge die »beste« Darstellung auswählen und so 
auf die Lesart der Aktion Einfluß nehmen. Das Bild konnte 
beschnitten werden und den Betrachter auf vielerlei Arten 
täuschen. 
Einer der berüchtigsten Mythen der Performance-Kunst und 
der Beweiskraft der Photographie ist die Legende über den 
Wiener Künstler Rudolf Schwarzkogler, der sich in einer 
Performance den Penis abgeschnitten und daran gestorben 
sein soll. Eine Geschichte, die auch heute noch gerne erzählt 
wird.'“ In die Welt gesetzt wurde das Märchen 1972 von 
Robert Hughes in der Zeitschrift Time: 
Schwarzkogler scheint zu dem Schluß gekommen zu sein, 
daß nicht das Aufträgen von Farbe wirklich zählt, sondern 
das Entfernen überschüssigen Fleisches. Also machte er 
sich daran, Zentimeter für Zentimeter seinen Penis zu 
amputieren, während ein Photograph die Aktion als Kunst- 
Event festhielt. 1972 wurden die daraus entstandenen 
Abzüge ehrfürchtig auf diesem biennalen Automobil 
salon westlicher Kunst, der documenta V in Kassel, ausge 
stellt. Nachfolgende Akte der Selbstamputation brachten 
Schwarzkogler schließlich unter die Erde.'“ 
Die Vermischung von Fiktionalem und Dokumentarischem 
geistert nicht nur durch Schwarzkoglers Arbeit, sondern 
begleitet die Performance-Kunst im allgemeinen. So wird der 
Schwarzkogler-Mythos immer wieder bemüht, wenn es 
darum geht, Künstler, die den Körper als Material für Kunst 
verwenden, zu kompromittieren, zu trivialisieren oder einfach 
nur in Mißkredit zu bringen. 
Tatsache ist, daß Schwarzkoglers künstlerische Tätigkeit im 
Kreis der Wiener Aktionisten reifte, zu denen auch Hermann 
Nitsch, Günter Brus und Otto Mühl zählten, daß er im Oktober 
1964 zum ersten Mal aktiv an einem Aktions-Happening teii- 
nahm und in einigen von Nitschs Aktionen als Modell diente. 
Nach dieser Phase begann Schwarzkogler, eigene Aktions 
bilder zu schaffen. Im Sommer und Herbst 1965 inszenierte er 
fünf einzelne photographische Arbeiten mit dem Titel Aktion 
159 Für mehr Informationen über Schwarzkogler siehe meine »Notes 
on Rudolf Schwarzkogler's Images of Healing«, in: White Walls: 
71 Magazine of Writings byArtists, 25, Frühjahr 1990, S. 13-26, 
nachgedruckt in: Rudoif Schwarzkogier, Vancouver 1993 S 
29-39. 
160 Robert Hughes, »The Decline and Fall of the Avant Garde«, in: 
Time, 18. Dezember 1972, S. 111.
	        
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