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Volltext: Alte und Moderne Kunst I (1956 / Heft 3)

Niemand wird behaupten, er sei von der Pflege der Kunst des 
20. Jahrhunderts an den Wiener Museen befriedigt. Im Gegen- 
teil: jedermann weiß, daß die Geschichte der „Galerie des 
20. Jahrhunderts" eine Kette von tragischen Versäumnissen bil- 
det, eine Nachlässigkeit, vor deren erschreckender Kontinuität 
man sich zur Resignation entschließt. In der Tat kommt man 
zu dem Sehluß, daß diese imaginäre Galerie nicht nur Lücken 
besitzt wie andere Museen auch, sondern eigentlich nur aus 
Lücken besteht. Vielleicht ist es darum sogar besser, wenn man 
ihre dürftigen Bestände gegenwärtig nicht ausstellt, da uns sol- 
cherart manche Verlegenheit vor den Fragen fremder Besucher 
erspart bleibt. 
Die Zeit, von der es heißt, sie heile alle Wunden, ist die gefähr- 
lichste Widersacherin einer modernen Kunstsammlung, die erst 
auf dem Papier besteht. Jedes Jahr, das verstrcieht, liißt un- 
wiedcrbringliche Chancen vergehen, reiht eine ungenützte Zeit- 
spanne zu den Dezennien, die bereits das Sehuldkonto amtlicher 
Saumseligkeit bilden. Die Anfänge moderner Malerei rücken im- 
mer mehr in die Ferne, ihr musealer Rang steigt, - und damit 
wächst ihre Unerschwingliehkeit. Man resigniert, man weiß, daß 
man nie mehr einen Gauguin oder Cezanne erwerben können 
wird und flüchtet sich zu jüngeren Generationen, - doch ehe 
man an eine Erwerbung denken kann, sind auch diese bereits 
von der Prcisspekulation nobilitiert worden. Dieser Vorgang, 
dessen Schauplatz unsere Stadt nun seit einem halben Jahr- 
hundert ist, soll hier nicht beklagt, sondern festgestellt werden. 
Wichtiger als die Schuldfrage zu stellen, ist der Entschluß, sich 
nun endlich zur Verwirklichung eines Modernen Museums auf 
Wiener Boden aufzuraffen. Hierfür kann es nützlich und an- 
regend sein, wenn man sich nach dem Werdegang der bedeuten- 
den öffentlichen Sammlungen moderner Kunst auf europäischem 
Boden umsiebt. Kaum eine dieser Sammlungen kann unserem 
Wiener Vorhaben als Vorbild dienen, so naehahmenswert jede 
von ihnen wäre, - und dies einfach deshalb, weil sie alle bereits 
seit geraumer Zeit existieren und unter ganz besonderen Um- 
ständen existent wurden. Wir können darum nur eines aus ihrer 
Praxis auf unsere Situation übertragen: ihren Mut, mit Schwierig- 
keiten und Hemmnissen fertig zu werden. Ich wähle die Öffent- 
liche Kunstsammlung in Basel als Beispiel, um daran die Er- 
fordernisse zu demonstrieren, die ein Modernes Museum seinem 
Leiter stellt. Es ist, wie wir sehen werden, nicht allein die An- 
gelegenheit seines Direktors, seiner Assistenten und der mit 
Musealangelegenheiten betrauten Funktionäre der „öffentlichen 
Hand", sondern ein Organismus, zu dessen Verwirklichung die 
gesamte Öffentlichkeit - vom reichen Mäzen bis zum Besucher, 
der bloß eine Kunstkarte bei der Kasse erwirbt - beitragen 
kann. 
Die landläufige Meinung, die Schweizer Museen verfügten über 
schier unerschöpfliche Geldbestände - man hört sie überall 
dort, wo unser sparsamer Staatssäckel als Wurzel allen Übels 
angeklagt wird -, diese Meinung läßt sich an Hand von 
unwiderlegbaren Zahlen korrigieren. Der Basler Kunstsamm- 
lung standen im Jahre 1954 folgende Beträge zur Verfügung: 
Fr. 10.000.- für Ankäufe des Kupferstichkabinetts; Fr. 10.000.- 
für die Bibliothek; Fr. 30.000.- für die Ankäufe der Galerie; 
Fr. 20.000.- für den „Fonds zum Ankauf eines Meisterwerk-es". 
Dazu kommt der jährliche Reingewinn aus Eintrittsgeldern und 
dem Verkauf von Katalogen und Postkarten. Er betrug im 
Jahre 1952 Fr. 13.000.-. Dieser Budgetposten hängt von der 
publizistischen Aktivität der Sammlung ab: versteht sie es, ihre 
Schätze wirksam darzubieten und durch interessante Veröffent- 
lichungcn dem Publikum nahezubringen, so wird er mit dem 
wachsenden Reinertrag ebenfalls ansteigen. 
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Da sich die Gelegenheit des Ankaufes eines Meisterwerkes nicht 
mit jährlicher Regelmäßigkeit bietet, stehen also dem Direktor 
Fr. 30.000 zur Verfügung. Wenn trotzdem seit 1944 etwa hun- 
dert Bilder und Plastiken der Gegemvartskunst das Basler Mu- 
seum betraten, so geht daraus hervor, daß Dr. Georg Schmidt, 
der seit 1939 die Sammlung leitet, es nicht nur versteht, 
mit seinen finanziellen Mitteln sorgfältig und geschickt zu 
manövrieren, sondern daß ihm auch andere Quellen offen stehen, 
ohne deren Unterstützung sein Museum nur ein Fragment seines 
tatsächlichen Umfanges wäre. Dies soll die Leistung des Kon- 
servators nicht schmälern, sondern besonders betonen, zeigt sich 
doch aus diesen Umständen, daß derjenige der beste Museums- 
direktor ist, der seiner Sammlung die besten Freunde zu ge- 
winnen weiß. 
Es ist darum kein Zufall, wenn die Erwerbungen, die Georg 
Schmidt aus seinem Budget bestreiten konnte, vielfach Künstlern 
gelten, die noch in dem Ruf stehen, erschwinglich zu sein. Wir 
finden darunter einen Manessier, einen Singicr, einen Hartung 
und einen Marchand. Eine besondere Anstrengung - wohl unter 
Heranziehung des Fonds für Meisterwerke - bedeutete sicherlich 
die Erwerbung der Matisse-Landsehaft von 1907, die 1953 in das 
Museum kam, und das Montmartre-Bild von Van Gogh, ebenso 
der Urwald von Rousseau und im letzten Jahr Picassos Para- 
phrase auf Courbets „Mädchen am Ufer der Seine". 
Eine zweite Gruppe von Werken wurde mit privaten Beiträgen 
angekauft. Skeptiker mögen einwenden: Basel sei eine reiche 
Stadt und nicht leicht mit anderen Städten zu vergleichen. Ent- 
scheidender scheint mir jedoch ein anderer Umstand: diese Bür- 
gerstadt, deren bedeutende geistige Rolle in der Renaissance ein 
bleibendes Beispiel des urbanen Humanismus im deutschen 
Sprachraum ist, diese Stadt erwarb sich im 17. Jahrhundert den 
Grundstock ihrer Öffentlichen Kunstsammlung, - „die erste 
Kunstsammlung Europas, die nicht von einem Fürsten oder einem 
Privatmann, sondern von einem bürgerlichen Gemeinwesen ge- 
schaffen worden ist" (Schmidt). Oblztg anderswo die Pflege der 
schönen Künste noch jahrhundertelang dem Geschmack der 
Fürstenhäuser, s0' hatten sich die Basler Bürger von allem An- 
fang an um ihr Museum und dessen Erweiterung zu kümmern. 
Man muß ihnen bescheinigen, daß ihr Ehrgeiz im Laufe der 
Jahrhunderte nicht nachgelassen hat und sie heute wie ehedem 
sich der humanistischen Verpflichtung bewußt sind, die sie zu 
erfüllen haben. Und darin dürfte auch die Erklärung für die 
konsequente Bereicherung des Basler Museums zu suchen sein: 
der geistigen Leitung eines Mannes anvertraut, der ein vorzüg- 
licher Kenner der modernen Malerei ist, lebt es von der Liberali- 
tät seiner Bürger, seiner Sammler, die sich nicht scheuen, im 
Kunstverein oder in der Ankaufskommission, als einfacher Kas- 
sier oder als Buchführcr, an der Lösung musealer Probleme mit- 
Zuarbeiten. Eine Stadt, die viele Sammler hat, besitzt den Nähr- 
boden, ohne den ein Museum ins Leere ragt. 
Oder umgekehrt formuliert: eine Stadt, deren Sammler die 
Liberalität der Freunde des Basler Museums besitzen, hat die 
privaten Börsen nicht als Konkurrenz zu fürchten, sondern muß 
sich beeilen, ein möglichst großes Museum zu errichten, in dem 
dann die privaten Stiftungen, Schenkungen und Depositen Untcr- 
kunft finden können. Wenn es auch kein Meisterwerk der Archi- 
tektur ist, so reicht das Basler Museum wohl noch für einige 
Zeit aus, um den Zustrom an Kunstwerken aufzunehmen. 
Der Tätigkeit zweier Sammler ist hier besonders zu gedenken. 
Herr Richard Doetsch-Benziger gehört zu den eifrigsten För- 
derern des Museums. Nahezu ein Dutzend bedeutender Wferke 
hat er dem Museum geschenkt oder durch einen namhaften Bei-
	        
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