den Apostel Paulus dar (Zirbelholz; je 173" 48 cm).
Eduard von Grützner, der einst so geschätzte Münchener
Maler, hat sie wie die meisten Objekte seiner umfüng-
liehen Sammlung im Alpenraum erworben. Mehr ist
nicht bekannt. Lange hingen sie in seinem schönen Haus
am Gasteig. bis sie mit dessen reichern Inventar im
Juni 1930 bei llelbing in München unter Nummer 250
des Kataloges als tirolisch versteigert wurden.
Die dicken, schweren Gewänder, in die die lleiligen ge-
kleidet sind, umschließen die hohen Gestalten knapp. In
kühnen, steilen Kurven sind die Säume geführt, spitz
laufen sie an den Füßen zusammen, und schwer schieben
sich dic Stoffmassen dazwischen zu drängenden, knorri-
gen liigurationen zusammen. Diese Stilisierung der Fal-
ten gibt den Figuren ein herbes und zugleich kraft-
volles Aussehen, zu dem die ernste Mimik der knochigen
Gesichter vorzüglich stimmt. Da fassen wir es, was man
als alpenländisch bezeichnen darf. Es ist gewiß nicht die
einzige Eigentümlichkeit, sicherlich aber ist es eine der
wesentlichen, schöpferischen Komponenten in der öster-
reichischen gotischen Malerei.
In Wien, aber auch in Wiener Neustadt, in Steiermark
und in Salzburg entwickelten Werkstätten und Maler
im 15. Jahrhundert mitunter einen sehr gepflegten, höfi-
sehen Stil. Man bedient sich heute gern dieser Bezeich-
nung, weil er in einigen höfischen Zentren in Burgund
und Frankreich, in Böhmen und Oberitalien zuerst ent-
wickelt und gepflegt worden ist. Aber im weiteren war
er keineswegs nur eine Angelegenheit der Höfe. In Prag
geschulte Meister brachten ihn im späteren 14. jahr-
hundert nach Wien. Seine elegantesten Zeugnisse stehen
am Bischofs- und am Singertor von St. Stephan. Daneben
waren auch französische und italienische Maler damals
in Wien tätig, und umgekehrt müssen die einheimischen
Künstler weite Gebiete des künstlerischen Europas
durchwandert haben, bevor sie, zurückgekehrt, sich nie-
derließen. Anderwärts findet sich eine sehr elegante An-
betung der Könige im Kreuzgang zu Brixen, finden sich
Werke des internationalen Stils in Bozen, in der Steier-
mark. Die habsburgischen Lande waren, obwohl noch
weit entfernt, Herzstück einer Weltmacht zu sein, schon
damals sehr europäisch orientiert.
Unnötig zu betonen, daß jede der alten österreichischen
Landschaften, die noch heute in Art und Eigenart unser
Entzücken sind, in den Mal- und Schnitzwerken eine
durchaus eigenständige Sprache gepflegt hat. Sie er-
wuchs aus bodenständigen Traditionen und Bedingnissen
und ebenso sehr aus Anregungen und Strömungen, die
sich aus der Nachbarschaft mit südlichen und westlichen
Kulturriiumcn ergaben. Die Malerei Kärntens, selbst die
Kunst des großen Thomas von Villach, verdankt dem
adriatischen Italien wesentliche Züge. Salzburg erscheint
nach dem Ausbruch der Hussitenkämpfe wie eine böh-
mische Sekundogenitur. Die Malereien oberösterreichi-
scher Werkstätten lassen oft einen starken bajuwari-
sehen Einschlag erkennen, was nicht verwundern darf,
gehörte doch das lnnviertel zum Herzogtum Bayern. Und
die österreichischen Vorlande waren eine bedeutsame
Brücke zum Westen. Ebenso viel gibt es Gemeinsames.
Es findet sich, wie es nicht anders sein kann, mit sehr
unterschiedlichem Gewicht und wechselnd im Wandel
der Generationen. Seine Konstanz ist zugleich Varia-
tion.
Diese (iberlegungen bewegten uns, als uns nach einigen
jahrzehnten die einleitend besprochenen Tafeln wieder
zu Gesicht kamen. Sie überraschten uns in ihrer
Kraft und Ursprünglichkeit. Naturhaft, wie gewachsen
erscheint ihre Form. Jedes Detail ist geladen mit pla-
stischen Energien. Und höchst bewußt hat der Meister
die Gestalten der Heiligen stilisiert. Im Großen sind
sie spiegelverkchrt einander gleichformig, in entspre-
chender Weise streben sie steil empor, neigen sie sich
einander zu. Die Gebärden der Hände mit dem Kelch
bei dem einen, dem Buch bei dem anderen, wirken wie
eine verbindende Horizontale. Mit sparsamen Mitteln ist
eine packende Komposition gegeben. Sie ist das Gegen-
teil von lieblich und freundlich, auch elegant kann man
sie nicht nennen, vielmehr wird die Form als herb und
streng zu charakterisieren sein, und vielleicht ist der
Ausdruck der Gesichter eher verschlossen, wie auch
immer: groß und machtvoll erscheinen die Bilder ganz
gewiß. Dies aber und die kraftvolle, feste Plastizitiit, die
- wir sagten es schon - urwüchsig und naturhaft wirkt,
dürfen als spezifisch alpenländische Eigenschaften ange-
sehen werden.
Wenn sich das Alpenländische bei Michael Pacher mit
der Großartigkeit Andrea Mantegnas verbindet, steigt
es zu edelster Monumentalität empor. Die Rezeption
ferraresischer Kunst führte bei Friedrich Paeher hin-
gegen zu einem spätgotischen Manierismus höchst selt-
samer Expression. Durchwandert man den Brixencr
Domkreuzgang, erlebt man das Alpenländische in man-
nigfachen Variationen. Bei Simon von Taisten erscheint
es burlesk, die Passionsbilder in Brixen spiegeln es rea-
listisch erregt. Der Schattierungen sind viele. Da, im
Brixener Domkreuzgang, hat auch ein steirischer Maler.
jakob von Seekau, gearbeitet. Wir wissen nicht, an wel-
chen Fresken er beteiligt gewesen ist, immerhin darf cr
in diesem Zusammenhang genannt werden, umreißen
seine llerkunft und der Ort seines Wirkens doch sehr
anschaulich den Raum, in dem uns das Alpenländische
sonderlich vorzüglich begegnet. Auch vor salzbur-
gischcn, bayerischen oder oberösterreichischen Arbeiten
ist von ihm zu sprechen, seine besondere Heimat aber
waren zweifellos die drei Alpenlandschaften Tirol, Kärn-
ten und Steiermark. Sie rechtfertigen die Bezeichnung
der angedeuteten Eigenschaften als alpenländisch. Und
hier sind auch die beiden Tafeln entstanden, um derent-
willen wir hiervon sprachen.
Sucht man ihre Heimat genauer festzulegen, möchten
sich Tirol und Brixen vor allem anbieten; die Beziehun-
gen bleiben im allgemeinen. Dagegen findet sich in der
steirischen Malerei Nächstverwandtes. In der Landes-
bildergalerie des Grazer Joanneums hängt ein Altar-
flügel, der - aus St. Oswald am Tauern bei judenburg
stammend - außen den Gabriel einer Verkündigung,
innen den hl. Oswald darstellt. Der Kopf zeigt denselben
knochigen Typus, eine kräftige, breitrückige Nase, be-
tome Backenknochen, festes Kinn, im Kolorit dominie-
ren ebenfalls grüne, braune und rötliche Töne. Wich-
tiger noch: das Alpenländische erscheint in dieser ein
wenig derbknochigen, aber höchst imposanten Gestalt,
in ihrer kraftvollen Haltung und in der straffen Führung
der Mantelsäume in ganz gleicher Weise interpretiert.
Den hLOswald darf man um 1440 datieren, die beiden
Flügel aus der Sammlung Grützner dagegen schon um
1460. Dürfen wir in ihnen die spätere Reifestufe des Mei-
sters der Oswald-Tafel erkennen? Schon dieses Bild ist
eine meisterliche Leistung, in den beiden Heiligen aber
scheint sein Können zu letzter Konzentration gebracht
zu sein. Der Maler war Realist und Ausdruckskünstler
zugleich. Beides verband sich in seinem Formerlebnis
zu einer plastisch eminent großartigen Gestalt. Er beließ
den Gewändern die Schwere. Drängend falten sie sich.
Ernst, verhalten ist der Ausdruck der Gesichter. Und wie
wäre das feine Gefühl für Stilisierung zu verkennen? Das
Alpenländische spricht in einer fesselnden, männlichen
Tonlage zu uns.
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