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Volltext: Alte und Moderne Kunst IX (1964 / Heft 74)

lebender Tradition sagt vielleicht mehr als 
gelehrte Untersuchungen. 
Wir jedoch müssen uns vor dem Hinein- 
interpretieren hüten. So muß man heute, trotz 
der erwähnten zeitgenössischen Tendenz, die 
holländische Genre- und Stillebenmalerei in 
zwei Gruppen teilen. Das reine „tendenzfreie" 
Bild, in dem sich uns heute keine hinter der 
Darstellung liegende tiefere Bedeutung offen- 
bart, und eine zweite Gruppe, deren „Wahr- 
heit" im Bild selbst - manchmal auch in 
glücklich gefundenen literarischen Quellen - 
transparent wird. 
Für die Wiener Sammlungen ist das Über- 
wiegen der ersten Gruppe charakteristisch. 
Für die unter dem EinHuß südlicher Kunst- 
theorien lebenden Sammler spielt die Allegorie 
innerhalb der bekannten großen barocken 
Programme. Die Gedankenwelt des holländi- 
schen bürgerlichen und protestantischen Sinn- 
bildes ist ihnen fremd. Sie sehen in den Werken 
der holländischen Kleinmeister nur die eine 
Seite, den Realismus. So kommt es, daß sie 
vorwiegend Bilder sammeln, in denen sinnbild- 
hafte Momente am weitesten zurückgedrängt 
werden. Symptomatisch hierfür ist die Vor- 
liebe für die Landschaft. Dennoch finden wir 
einige charakteristische Meister der zweiten 
Gruppe in Wiener öffentlichen und privaten 
Sammlungen. 
Die Maler dieser Gruppe, deren Haupt- 
exponent Jan Steen ist, gehen trotz der For- 
derung, den Sinn der Darstellung in ein 
„angenehmes Dunkel" zu hüllen, nie so weit, 
daß der Betrachter das Rätsel nicht erraten 
kann. Durch gewisse Kunstgriffe, die oft an 
die Dialektik zeitgenössischer Predigten oder 
an beliebte Überraschungsmomente des Thea- 
ters erinnern, wird der Beschauer schließlich 
auf die „Wahrheit" gestoßen. Es sind im 
Grunde immer wieder drei „Tricks", deren 
sich die Maler bedienen: „Das Wort im Bild", 
„Das Bild im Bild" und die „Personiiikation 
der Wahrheit". 
„Das Wort im Bild" ist die unkünstlerischeste 
Möglichkeit. Sie kommt vom „Titel" der 
Graphik her. Im Tafelbild sind diese Titel 
dann mehr in die Komposition einbezogen, 
auf aufgeschlagenen Büchern, auf Briefen usw. 
Besonders häufig ist diese Darstellungsart im 
Bereiche des Stillebens. Als Beispiel sei die 
„Allegorie der Eitelkeit" von Leonhard Bramer 
im Kunsthistorischen Museum erwähnt 
(Abb. l). Das Bild ist außerdem ein typisches 
Beispiel für den Übergang des Genres ins 
Stilleben. Die „VUahrheiW steht auf dem 
Notenblatt: Vanitas. In diese Gruppe gehören 
auch jene Bilder, zu denen sich in der Literatur 
oder Graphik die zugehörigen „Texte" er- 
halten haben. Die Tanzgesellschaft des Dirk 
Hals aus der Gemäldegalerie der Akademie 
der bildenden Künste (Abb. 2) ist in der Auf- 
fassung nahezu identisch mit einem Kupfer- 
stich des gleichen Malers. Symbole und An- 
spielungen, die wir im Tafelbild erkennen, 
finden ihre übergeordnete Deutung in dem 
zur Graphik gehörenden Spruch (übersetzt 
und wegen der Länge etwas verkürzt): Dies 
geile Volk, leichtsinnig und verdorben, ver- 
bringt die Zeit mit Nutzlosigkcit und Un- 
keuschheit, es will sich nur sättigen an der 
Dummheit der Welt. . . . Der Körper wird 
3 Jacob Duck (1600-1660), Soldatcnszcnc. Sammlung Czemin, 
Wien 
4 Jan Sleen (1626-1679), Die verkehrte Welt. Kilnstlxistorlsches 
Museum. Wicn 
geplagt, die Seele verdorben. Und dies leicht- 
sinnige Pack Endet an nichts Freude als am 
eigenen Unheil und der ei enen Schande." 
Das ist überhaupt das Besondere dieser Art 
des symbolischen Genres, es wird nie das 
gute B spiel demonstriert, es t immer die 
negative Seite, die belehrt, wie man nicht 
sein soll. 
Die den ku leri hen Gesetzen adäquateste 
Art der bildhaften Darstellung der „Wahr- 
heiten" ist ihr Erscheinen als Bild im Bild. 
el, wenn in einem lnterieur mit 
einer zechenden (Jesellsclwaft an der Wand 
das Gemälde mit Szenen a dem Leben des 
Verlorenen Sohnes erscheint. Das Bild berindet 
sich an hervorragender Stelle, wo es der 
Betrachter gleich bemerkt. lst es aber kleiner 
und x "teckter, fehlen nie kompositicunelle 
Mittel, Personen, die hinweisen, oder une 
gewtähnliche Licht tnrung, die den Blick des 
Beschauers auf diesen „ l" leiten. 
(Ü arakteristische Beispiele die er ( ttung sind 
in Wien nicht vertreten, 

	        
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