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Volltext: Alte und Moderne Kunst IX (1964 / Heft 77)

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schaftliche Umschichtung der Zeit um 300 
bereitete den Boden dafür, und das aus einer 
östlichen Provinz eintretende und im Reich 
immer mächtiger werdende Christentum lie- 
ferte die geistige Substanz. Das Ergebnis in 
der Kunst aber war: abbildender, erzählender 
Realismus trat zurück hinter die repräsentative, 
ausdrucksgeladene Darstellungsart, in der es 
nicht mehr darum ging, einen Vorgang 
illustrativ zu schildern, sondern das innere 
Wesen und die metaphysische Bedeutung des 
Vorgangs möglichst eindrucksvoll dem Be- 
trachter vorzustellen. Das veränderte alles, 
was zu Bild und Darstellung gehört: Kompo- 
sition und Anordnung der Bilder wie Ab? 
bildung der einzelnen Person. Bis in die 
Kaiserporträts reicht die Absicht, das Bild 
der einzelnen Person zurücktreten zu lassen 
hinter die Darstellung ihrer Aufgabe und 
Funktion. liinzelvorgänge und Detailschil- 
derungen wurden aus den Bildern ausge- 
schlossen, und repräsentative Einzelbilder 
traten an ihre Stelle, in denen wenige Per- 
sonen das zu sagen haben, was vorher durch 
lange Bilderreihen schildernd zum Ausdruck 
gebracht wurde. So entstanden abbreviierte 
Darstellungen, in denen Einzelpersonen, wie 
etwa ein Kaiser oder Christus oder auch ein 
Orant, so hervorgehoben werden, daß das 
Wesen und die Bedeutung des ganzen Bildes 
in ihnen zusammengefaßt erscheint und der 
Betrachter zur stillen, ja anbetenden Be- 
trachtung dieser Figuren und damit der ganzen 
Handlung neben diesen aufgefordert wird. 
Derartige Überlegungen führten sogar zu 
völlig unrealistischen Umbildungen von An- 
ordnung und Perspektive, da die hervor- 
gehobene Person immer größer wurde und 
die anderen kleiner, sie in die Mitte gestellt 
wurde und die anderen symmetrisch zu 
Seiten aufgereiht, wie es bereits im 4. Jahr- 
hundert an der Basis des Theodosiusolwelisken 
in Konstantinopel geschah. Für die Kunst 
eröffneten sich daraus xiöllig neue Aspekte. 
Diese große Limwälzung vollzog sich im 
römischen Reich des 4. Jahrhunderts in einer 
Zeit, in der die ganze antike Welt, von 
Britannien bis nach Ägypten und an die 
Grenzen Persiens, in einem Staat straffster 
Organisation zusammengefaßt war. Mischung 
und Austausch aller vorhandener Kräfte und 
Traditionen, aller ldeen und Religionen in 
diesem Reich in der Zeit um 300 waren weit 
intensiver, als wir uns das heute mit allem 
internationalen Zusammenhang denken kön? 
nen. Kurze Zeit danach zerbrach dieses Reich, 
aber die Wirkung sowohl im Geistigen wie 
im Künstlerischen ging nicht verloren. ln 
Ostrom, in Byzanz, wurden die hier zugrunde 
gelegten Ideen durch ein Jahrtausend weitere 
geführt, und im Westen, in den Reichen der 
Barbaren, bildeten sie die Grundlage zu jahr- 
hundertelanger Entwicklung. 
Diese Situation, diesen Ausgangspunkt dar- 
zustellen und an einzelnen Werken zu zeigen, 
war die Aufgabe der Ausstellung „Früh- 
christliche und koptische Kunst", die in 
Wien im Frühjahr 1964 vom Unterrichts 
ministerium veranstaltet wurde. Zwei große 
Ausstellungen, die koptische Kunst aus Essen 
und Zürich und die frühchristliche Kunst aus 
Essen und Mecheln, wurden vereint und durch 
bedeutende Leihgaben, die nur für Wien 
gegeben wurden, ergänzt, um ein möglichst 
vollständiges Bild der Epoche zu geben. 
Koptische Kunst ist die Kunst Ägyptens der 
Spätantike, in der die Mischung und Über! 
schichtung der antiken Tradition mit dem 

	        
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