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Volltext: Alte und Moderne Kunst X (1965 / Heft 80)

Der dreiundzwanzigiährigc Carry Hauser kehrt 
im Jahre 1918 aus dem ersten Weltkrieg, der ihn 
als Offizier an der Front gesehen hatte, in seine 
Heimatstadt Wien zurück. Nicht nur, daß ein 
großes Reich zerfallen war, nicht nur, daß mit 
Umschichtung und Abwanderung ein völlig ver- 
ändertes Gesellschaftsbild sich dem jungen Heim- 
kehrer darbot, in diesen ersten und wirtschaftlich 
nicht gerade erfreulichen Wochen und Monaten 
der ersten jungen Republik galt es, Fuß zu fassen, 
einen Boden zu gewinnen, von wo aus das Leben 
in beiden Ebenen, der geistigen wie der ma- 
teriellen, bewältigt werden kann. Carry Hauser, 
den man von der Schulbank weg zu den Soldaten 
geholt hatte, wählt den ebenso schweren, wie 
verantwortungsvollen Weg eines freischaffenden 
Malers und Schriftstellers. Als Maler 7 und hier 
soll nur von Carry Hauser als bildender Künstler 
gesprochen werden --- gerät er in eine Welt des 
Aufbruches, einer neu gewonnenen Freiheit. lis 
ist aber auch eine Periode der Umwertung der 
Begriffe, ein Abschnitt der Neuordnung, der 
Neugestaltung. Eine Neigung zu bündischen 
Zusammenschlüssen bewegt die Künstler 7 und 
nicht nur die Maler. Es bilden sich Kunstverbände, 
von denen manche sehr ephemere Erscheinungen 
sind - es ist eine Welt expressivcr Aktivität. Aus 
solch einer Haltung heraus, ein von den ldcen 
der Zeit ergritfcncr Künstler, findet Hauser zu 
einem Verband, der immerhin eine, wenn auch 
plötzlich unterbrochene 'l'radition hat, zum Ha- 
genbund. 1900 gegründet, hat dieser in rund 
einem Jahrzwölft wesentlich zur Bildung einer 
modernen österreichischen Kunst beigetragen, war 
der damaligen Staatsform gemäß übcrnational 
und gesamtösrerreichisch eingestellt und hatte 
sich durch die betonte Förderung moderner 
Kunst, besonders aber durch die Sonderausstellung, 
auf der Kokoschka, Schiele, Wiegclc, Kolig und 
Gütersloh gezeigt wurden, den Ärger des Erz- 
herzog-Thrtwnfolgers auf sich gezogen, der über 
Wege und Umwege 1913 die Schließung und 
Auflösung des Hagenbundes erreichte. Zu diesem 
ncugcgründeten Hagenbund Endet Carry Hauser 
und fast volle zwanzig Jahre ist seine Kunst mit 
der iencr Mitglieder, wie Viktor Tischler, 
Josef Floch, Fritz Schwarz-Waldegg, verbunden. 
Die Kunst aber, die im Hagenbund gezeigt 
wurde, repräsentierte für die damaligen Begriffe 
die Zeitsituation. Ungleich der Seccssion und 
dem Künstlerhaus, war das Neue in den Aus- 
stellungen des Hagenhundes zu sehen, man 
zeigte den Expressionismus und den Kubismus, 
man fand die Vertreter des „Magischen Realismus" 
und später jene der „Neuen Sachlichkeit". Carry 
Hauser ist Vizepräsident des Verbandes und hat 
als Maler und Graphiker, besonders aber als Orga- 
nisator wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung, 
die kulturellen Veranstaltungen aber sind von 
Bedeutung für die Kultur unserer Stadt. 
Die ersten Werke, die Hauser dort vor die Öffent- 
lichkeit bringt, zeigen sofort das Prolil des 
Künstlers, das ihn fortan prägen sollte, eine 
religiöse und eine soziale Komponente, rnit 
andern Worten, ihn zeichnen von nun an zwei 
Stigmen. Stilistisch lebt das Werk des jungen 
Malers in einer Welt, die zwischen dem Magischen 
Realismus und dem Kubismus liegt. Die sehr 
realistisch gehaltenen Formen werden von Kristal- 
lisationslinien gegliedert und von diesen wie in 
einem Koordinatensystem getragen. Bei solchem 
Streben wachsen die geistig wie inhaltlich bedeut- 
samen Elemente, wie etwa Kopf und Hand, zur 
Größe an, während oft Körper und Umwelt in 
fast verkümmerter Form zum Nebensächlichen 
absinken. In den Ölbildern zeigt sich zudem e 
und auch späterhin - eine gläserne Klarheit, der 
Farbauftrag ist solcher Art, daß sich die Farbe an 
den Rändern zu stauen scheint. Mit diesen künst- 
lerischcn Einsichten und handwerklichen Medien 
hat sich Hauser Stilmittel erworben, mit denen 
er uns nun durch Jahre seine religiösen Dar- 
stellungen und seine sozialen Erlebnisse und 
Stellungnahmen vorträgt, mit denen er die 
Berührungen mit der Umwelt, sei es durch klar 
gesehene Porträts oder in gestaltcnvollen Kum- 
positionen widerspiegelt. Der „Nächtliche Wan- 
derer" von 1920, der in der traumhaft crhcllten 
Stadt von Versuchung und Laster umgeben ist, 
die „Fabrik" mit der gleicherart die Kreatur 
bedrohcnden Gewalt, sind ebenso die Themen 
jener Jahre, wie „Christus in Emmaus", wo er 
das Geschehen vollends in unsere Landschaft und 
in unsere ländliche Stube versetzt, nicht ohne 
Ausblick auf Schlängelweg und nachdenklich 
lauschender Magd, und endlich die oft und viel- 
fach abgewandelte Darstellung der Madonna. 
Ein wesentlicher Teil seiner künstlerischen Arbeit 
gehört in jenen Jahren der Darstellung der 
Kinder. Fast immer ist es ein Geschwisterpaar, 
das spielend oder nachdenklich vor sich hin- 
horchcnd, von dem Maler in die Bildfläche ge- 
hoben wird. - Menschen, die mit einem fragenden 
und nach außen tasrenden Blick diese Welt zu 
erfassen suchen. Freilich tauchen in diesen Kinder- 
bildcrn, besonders aber in jenen gegen Ende der 
zwanziger Jahre Elemente der „Neuen Sachlich- 
keit" auf, wie sie in jenen Jahren etwa Georg 
Schrimpf in München und Alexander Kanoldt in 
Berlin malte. 
Neben seinem Werk als Maler schaHt Carry 
Hauser an einem umfangreichen graphischen 
Oeuvre, es umfaßt die reine llandzeichnung wie 
die Druckgraphik. Vom Beginn seines künst- 
lerischcn Weges gibt es Blätter, Federzeichnungen, 
in denen mit einem sehr scharfen Strich die 
Gestalten und die Landschaften auf das Papier 
gebannt werden. Die Linien spielen hin und 
ballen sich zu Knoten, die funktionell erscheinen, 
sie breiten ein System über das Blatt, ein Kristall- 
gitter, das Leben und Sein zusammenhält. Die 
Druckgraphik, die schon früh und seither immer 
wieder gehandhabt wird, umfaßt alle druck- 
graphischen Techniken, den Holzschnitt, die 
Radierung und die Lithographie. Es entstehen 
Mappenwerke und Blockbücher, alle sind ge- 
tragen von seiner empfindsamen Erlebnisfähigkeit 
und seinem sehr ausgeprägten Stilwillen und der 
persönlichsten Formensprache. 
In den dreißiger Jahren schon wir Carry Hauser 
als Bühnenbildner tätig, so am Burgtheater, wo ct 
zu Franz 'l'he0dtir Czokors Stück „Gesellschaft 
der Menschenrechte" die Bühnenbilder entwirft, 
wir sehen ihn am Raimundtheater tätig, in der 
„Komödie" und in der „lnsel" in Wien, er 
gestaltet bildmäßig Festspiele in Wien und in 
Zürich. 
Wir finden aber darüber hinaus eine jener, für die 
österreichische Kunst so kennzeichnende Doppel- 
bcgabung, die im Bildhaften wie im Worte 
gleicherart und mit gleicher Eindringlichkeit 
zu Hause ist. Neben diesen Eigenschaften zeichnet 
ihn noch eine weitere aus, die nicht immer bei 
einem Künstler dominant erscheint, die Fähigkeit 
einer organisatorischen Konzeption. Schon früh, 
ehe er noch seine Fähigkeit im Hagcnbund für 
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