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Volltext: Alte und Moderne Kunst XI (1966 / Heft 89)

Josef gegenüberstehenden Frcicrs - geben 
sie den Bildern ein würdevolles, vornehmes 
Aussehen, das dennoch nicht als Wider- 
spruch gegenüber den realistischen Ge- 
sichtern erscheint, denn auch sie sind fein- 
fühlig gemalt, und wenn sie nicht Vor- 
nehmheit und Adel zeigen, spiegeln sie 
doch stets ernste Innerlichkeit und gläubige 
Anteilnahme. 
Es ist das Kolorit, das sich mutatis mutan- 
dis auch in späteren niederländischen Tafeln 
findet, es ist, wenn wir nicht irren, ins- 
besondere das Kolorit der Bilder Robert 
Campins. Es sind dessen warmleuchtendc, 
kraftvolle Farben, mit dem ihnen eigenen 
leisen Schmelz, und wie bei ihm begegnen 
sie in lebhaften Kontrasten. Nie durch- 
webt des Malers Kolorit der weiche, 
dämmerige Schimmer, der die Bilder von 
Jan van Eyck poetisiert, mehr arbeitet es 
mit dem höchst präzis die Formen model- 
lierenden Licht die Plastik der Gestalten 
heraus. Wenn auch gerade hier der Abstand 
sehr groß ist, immerhin ähnelt es doch, 
wie der Maler von den Dingen und Figu- 
ren, den Realitäten ausgehend geformt hat. 
Sachlich, fern jeglicher Märchenstimmung 
ist auch seine Kunst. 
Deshalb sollen die Tafeln keineswegs allzu 
nahe an des genialen Meisters Werk heran- 
gerückt werden. Der Abstand bleibt noch 
immer groß, sehr groß. Immerhin ver- 
bindet sie eine ikonographische Eigentüm- 
lichkeit mit einem Frühwerk von Robert 
Campin, die - soweit wir sehen 7 als 
eine Ausnahme festzuhalten ist. Es ist die 
Darstellung der Vermählung Mariens. Auf 
einer alten, bis ins frühe Mittelalter zurück- 
reichenden Tradition fußend, hat Giotto in 
dem Fresko der Arena-Kapelle in Padua 
die Szene so geschildert, daß der Priester 
in der Mitte seitlich von Josef und Maria 
gerahmt steht. In gleicher Weise zeigen die 
Szene in Florenz ein Fresko in Santa Croce 
und das Relief Orcagnas in Or San Michele, 
so haben sie geschildert Fra Angelico, 
Signorelli, Perugino, Raffael, aber auch 
ein um 1400 in Konstanz tätiger Maler 
(Rosgarten-Museum), der kölnische Meister 
des Marienlebens, Michael Pacher, Al- 
brecht Dürer, Hans Fries, Meister Arnt am 
Sieben-Freuden-Altar in Kalkar, Jörg Rat- 
geb oder auch Greco, und weiterhin Endet 
sich die Szene dergestalt in den Tres belles 
Heures de Notre-Dame (Paris, Bibl. Nar., 
Ms. nouv. acqu. lat. 3093), den Grandes 
Heures des Duc de Berry (Paris, Bibl. Nar. 
Ms. lat. 919) und in dem utrechtischen 
Missale des Johannes von Hoya (Münster, 
Universitäts-Bibliothek). Der Maler der 
Marientafeln aber stellte den Priester Maria 
gegenüber und Josef etwas zurückgenom- 
men zwischen sie. Das ist durchaus ex- 
zeptionell, und es ist uns nur noch eine 
zweite, gleich gruppiette Darstellung be- 
kanntgexvorden: Robert Campins Bild im 
Prado in Madrid. Panofsky hat die in den 
Architekturformen dieses Bildes verborgene 
Symbolik herausgearbeitet"), sie ist auch 
in der Anordnung der Figuren zu erkennen. 
Indem der Priester Maria gegenübersteht, 
ist der Gegensatz Alter Bund-Neuer 
Bund, den - wie Panofsky fesselnd dar- 
Iegt - in Campins Bild auch die Archi- 
turformen anschaulich machen, in der 
Marientafel wenigstens in der Ordnung der 
Figuren angedeutet. Er ist stärker hervor- 
gehoben, als wenn josef Maria gegenüber- 
gestellt ist. Der Priester erscheint als Ver- 
treter des Alten Bundes gegenüber Maria, 
der Wegbereiterin des Neuen Bundes. Da- 
gegen begegnet die andere Gruppierung 
mit dem Priester in der Mitte beinahe 
formalistisch. 
Es ist schwerlich glaubhaft, daß diese 
beiden gleichgestimmten Darstellungen der 
Vermählung Mariens ohne irgendeinen 
wenigstens mittelbaren Kontakt gemalt 
worden sind, und es kann auch nicht so 
sein, daß die Darstellung der Sammlung 
Kisters und also der gesamte Zyklus der 
Marientafeln später, erst nach Robert 
Campin, gemalt worden ist. Dann müßten 
die Architekturformen anders, reicher sein, 
dann müßte auch der Faltenstil anders, be- 
wegter sein, es sei denn, man verweist die 
Tafeln in eine abseitige Provinz. Aber 
Form und Komposition wären, wenn es 
sich um rückständige Nachzügler handeln 
würde, keinesfalls so einheitlich und aus- 
geprägt trecentesk, und ebenso wider- 
sprechen solch einer Vermutung das vor- 
zügliche Kolorit und die geschliffene Ge- 
wandstilisierung, widerspricht ihr die leben- 
dige und völlig unkonventionelle Charak- 
teristik der Figuten. Deren Physiognomien 
machen nie den Eindruck, daß sie abgeleitet 
seien, ein sehr ursprüngliches Erlebnis 
spricht vielmehr aus ihnen. Ein Vergleich 
mit der Kreuzigung aus St. Peter am 
Kammersberg (Graz, joanneum), an die 
vor allem gedacht wurde, macht das schla- 
gcnd deutlichzü, Um 1400 müssen die 
Marienbilder in Flandern oder im Artois 
entstanden sein. Wie die Architekturen und 
die schlanken Proportionen, weisen auch 
die Kostüme, etwa die bis zu den Fingern 
reichenden Ärmel der Frau rechts am Rande 
der Vermählung, noch ins 14. Jahrhun- 
dert Z1. Sie sind deshalb - es sei wiederum 
betont ä keineswegs als unmittelbare Vor- 
stufen für Robert Campin anzusehen. Selbst 
wenn bei diesem wie in der Vermählung 
der Marientafeln ein neuer theologischer 
Symbolgedanke begegnet, wir wissen nicht, 
ob Melchior Broederlam oder ein anderer 
ihn nicht schon zuvor ausgesprochen hat. 
Aber wie dem auch sei, Robert Campin hat 
Komposition, Form und Gestalt aus der 
trecentesken Tradition herausgenommen 
und neu durchdacht. Indem er dem Kir- 
chenbau die Illusion materieller Festigkeit, 
den Figuren die Illusion substantieller 
Statik gegeben und die Komposition 
kontrastreich gefügt hat, legte er die 
Fundamente für eine neue Kunst, für die 
Kunst eines neuen Jahrhunderts. Mit ge- 
waltigen Grillen riß er das Tor zu einer 
neuen Epoche europäischer Kunst auf. 
Davon aber ist in den Marientafeln noch 
nichts zu spüren. 
Und wiederum ändert daran auch nichts, 
wenn man bemerkt, daß die Gesichter 
Mariens und einiger anderer Figuren in
	        
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