Als die ersten Anregungen zur Plakat-
gestaltung in den achtziger Jahren nach
Böhmen gelangten, trafen sie auf eine von
Pmvinzialismus und Rückständigkeit ge-
kennzeichnete allgemeine Situation. Nur
auf kulturellem Gebiet, wo noch die Energie
der Generation des Nationaltheaters l weiter-
wirkte, bestand eine entsprechende Auf-
nahmsbereitschaft, um als Voraussetzung
für die späteren künstlerischen Leistungen
zu dienen. Daher waren auch die ersten
guten Plakate für kulturelle Veranstaltungen
bestimmt, während die übrigen, wirtschaft-
lichen Zwecken dienenden Ankündigungen,
ohne künstlerische Bedeutung waren. Eine
Situation übrigens, die Böhmen mit vielen
Ländern Mitteleuropas gemein hatte. In der
Flut der kommerziellen, als Blanko ge-
druckten und verschiedentlich importierten
und exportierten Afiichen erschienen die
ersten Plakate mit künstlerischen Ambitio-
nen erst um die Mitte der neunziger Jahre,
als sich Graphiker und Maler ihrer an-
nahmen und ihnen im Rahmen ihres künst-
lerischen Interesses einen breiten Platz
einräumten. Am stärksten wurden dabei
die tschechischen Künstler von Paris in-
spiriert, wo sich die meisten von ihnen zum
Studium aufhielten und in den Leistungen
von Toulouse-Lautrec, Grassct und Stein-
lcn die höchsten Leistungen der französi-
schen Plakatkunst kennenlernten 1.
Um die Jahrhundertwende gaben dann
mehrere bedeutende, auch gesellschaftliche
Ereignisse den unmittelbaren Anlaß zur
Entwicklung der Plakatgestaltung, die vor
allem in Prag, dem Zentrum tschechischer
Kultur, bald mit dem übrigen Europa
Schritt zu halten verstand. Zu den ersten
Plakaten, deren künstlerischer Rang zum
Teil bereits mit gegenwärtigen Maßstäben
gemessen werden kann, gehören die von
Voitech Hynais (1854-1925) entworfenen
Blätter für die Prager Jubiläums- (1891) und
für die Ethnographische Ausstellung (1895),
obwohl sie noch der traditionellen Auf-
fassung einer komplizierten Bildkompo-
sition ohne vordringlichen Propaganda-
effekt folgen.
Wirklich vielversprechend für die weitere
Zukunft wurde aber erst das von Viktor
Oliva (1861-1928) entworfene Plakat für
die Zeitschrift „Zlatä Praha" aus dem
Jahre 1898, dessen von fast französischer
Grazie gekennzeichnete Noblesse leider von
dem zwar zeitgenössischen, aber typo-
graphisch unkultjvierten Text etwas ver-
dorben wurde. An das französische Beispiel
Lautrecs knüpfte auch der in Paris be-
wunderte Künstler Ludek Marold (1865 bis
1898) an, dessen Erfolg aber eher auf ober-
flächlichern gesellschaftlichem Charme und
erstaunlicher handwerklicher Virtuosität
basierte.
Die eigentliche Entwicklung des tschechi-
schen Plakates aber beruhte nicht auf diesen
Vorkämpfcrn aus den älteren Jahrgängen,
sie sollte erst von dem neugegründeten
Verein der tschechischen bildenden Künst-
ler, „Manes" (1887), ausgehen, der die
bisher zersplitterten schöpferischen Kräfte
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der Generation der neunziger Jahre in dem
Bestreben, „die Fenster nach Europa zu
öffnen", vereinte. Das ausgeprägt fort-
schrittliche Programm des Vereines be-
währe sich in vielen Richtungen; am durch-
greifendsten vielleicht gerade auf dem
Gebiete des „m0dern" aufgefaßten Plakates.
Es ist bezeichnend, daß auch andere be-
deutende Ereignisse der bildenden Kunst
um die Jahrhundertwende mit der Tätigkeit
des Vereines „Manes" im Zusammenhang
standen und fast kein einziges bedeutendes
Plakat bis zum Jahre 1914 außerhalb dieses
Rahmens entstand. Häufige interne Ver-
einswettbewerbe für Plakate eigener Aus-
stellungen, gut fundierte, kluge Kritiken in
der Vereinszeitschrift „Volne smery" 3 bil-
deten eine günstige Atmosphäre für die
jungen Künstler, welche in ihrem Verein
nicht nur einen großzügigen, verständnis-
vollen Mäzen, snndern auch einen Ratgeber
und ideellen Führer fanden. Ohne die frucht-
bare Inspiration des Vereines „Mänes" gäbe
es kein „modernes" tschechisches Plakat
mit seinem hohen künstlerischen Niveau
und seiner eigenartigen Originalität.
Wenn wir in der Generation der neunziger
Jahre den Begründer des tschechischen
Plakates suchen, müssen wir neben Jan
Preisler vor allem Arnost l-lofbauer (1869
bis 1944) nennen, einen typischen Künstler
seiner Zeit und einen der Hauptorgani-
satoren des Vereines „Mänes" und seiner
Zeitschrift „Volne smöry". Viele seiner
Plakate sind damit verbunden, und wir
können sie zu den Grundlagen dieses
Genres in Böhmen zählen. Hofbauers
Bedeutung lag vor allem darin, daß er das
Spezifische des Plakates als die Einheit von
künstlerischer Absicht und propagandisti-
sehem Zweck definierte, wobei das Thema
durch entsprechend künstlerische Mittel
in vereinfachter Komposition, befreit von
dekorativem und literarischem Ballast, zum
Ausdruck gebracht wurde. Der Künstler
verstand es, seine Plakate mit Hilfe des
zeitgemäßen Arrangements, mit viel Witz,
mit allegorischen Anspielungen und sug-
gestiver Mitteilsamkeit auszustatten. In der
lapidaren Abkürzung knüpfte Hofbauer
vielleicht am stärksten an die japanische
Graphik an, ohne dabei die Erfahrung seines
Pariser Aufenthaltes zu vergessen. Einen
Höhepunkt dieser seiner Tätigkeit bildet
das Plakat für den Rezitationsabend der
berühmten tschechischen Schauspielerin
Hana Kvapilova (1899), welches mit seiner
ausgewogenen Noblesse, der melodischen
Poesie und modernen Auffassung zu den
besten tschechischen Plakaten überhaupt
gezählt werden kann.
Es war von schicksalhafte: Bedeutung für
die tschechischen Plakate, daß sie parallel
zu den malerischen und graphischen Arbei-
ten ihrer Schöpfer entstanden und daher
analogen künstlerischen Tendenzen folgten.
So entstammen also auch den Händen des
begabtesten Künstlers der Jahrhundert-
wende, Jan Prcisler (1872-1918), die
besten Plakate, die alle für Zwecke des
Vereines „Mänes" entstanden, an dem der
Ludäk Marcld, Thealerplakal, Farblilhographic. 121,5 x
sx cm, was
Amoät Hofbaucr, 111m: für "Topiöüv Salon", I. Aus-
ätseälgung svu Mäncs, Farblithogmphic. 106.5 x 78,5 m,
Amoät Hofbaucr. Plakat an „Topicüv Salon", n. Aus-
sltäälsung svu Mäncs, Farblithographic, 105x76 m,
Amok Hofbaucr: 111mm m: einen Rczimtionsabend der
Schauspielerin Hana Kvapilovä. Fnrblirhogrzphic 10m
15 cm, 1m
1m Preisler. Plakat an die Ausstellung "Modemc mu-
zösischc Kunst", v. Ausstellung svu Mäncs, Farb-
lithographie, 90x60 Cm, 1902
ANMERKUNGEN 173
l Der Bau des Nationaltheaters in Prag (185071883) kam
durch opfetfreudige nationale Sammlungen zustande. Es
wurde zur großartigen Manifestation der nazinnalcn Wie-
dergehurl und des Kampfes uln die natiunale Selbständig-
keit. Die an der künstlerischen Ausschmilckung des Ge-
bäudes beteiligten Künstler werden unter dem Bcgrilf
"Generation des Nationaltheaters" zusalllmcngefaßt.
1 Wien und München waren trotz zahlreicher traditioneller
Verbindungen mit Böhmen nicht an der Entwicklung des
dortigen seztssionistischen Plakate: beteiligt. obwohl die
Entfaltung dieses Genres von den böhmischen Künstlern
aufmerksam verfolgt und kommentiert wurde.
1 "Volne smery" (1896 ge iindut) war die bedeutendste
Zeitschrift. welche der bdäimischen bildenden Kunst um
die jahrhunderttwcndc die Richtung wies und nicht nur
die Verbindung zum Ausland vermittelte. sondern auch
neu entstehende fortschrittliche Kunstansdlauungen Rit-
dme. Sie verfolgte ähnliche Tendenzen wie die englische
Zeitschrift „The Studio" oder die Wiener Zeitschrift
„Ver sacrutn".