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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVII (1972 / Heft 121)

handelt. Der Mantel ist reich besetzt und mit 
Pelz verbrämt. Besonders schön sind auch die 
Broschen. Der Name Agnes meint sicherlich die 
Gattin des Babenbergermarkgrafen Leopold lll., 
des Heiligen, der als Gründer der Stifte Kloster- 
neuburg und Heiligenkreuz gilt. Agnes ist die 
Mitbegründerin. Die Buchstaben MFN vor dem 
Namen sind dann als Monasterii Fundatrix 
Nostra zu übersetzen. Auf welche Stiftung sich 
dies bezieht, kann nicht mehr festgestellt werden, 
da ieder Hinweis fehlt. Möglicherweise war zu 
Füßen der Dargestellten früher - heute leider 
restauriert - eine Abbreviatur eines der beiden 
Stifte zu sehen. Die Komposition wirkt im Ver- 
gleich mit den anderen Glasgemölden fort- 
schrittlich. Vor allem die Arkadenrahmung, die 
zugleich Figur und Scheibe eingrenzt, stellt die 
Einzelfigur deutlich heraus und betont sie als 
Standfigur. Die Art dieser Rahmung bezieht sich 
mehr auf die Figur als der Langpaß, der sich 
für mehrfigürliche Darstellungen als geeigneter 
erweist und auch in Zyklen ausnahmslos Ver- 
wendung fand". Die Arkade ist hier dem But- 
zenteppich appliziert. Es kann also für die Figur 
eine Art Nische entstehen. Die Figur selbst zeigt 
jedoch keine Eigenbewegung. Der Raum, der 
hier sich bildet, ergibt sich aus der Staffelung 
von Bildgegenständen. Daß die Figur nur an der 
Oberfläche plastisch gebildet ist oder besser 
wie an einem Relief behandelt wird, demon- 
strieren die nach unten geklappten Füße. Die 
Figur scheint nach vorne zu rutschen. Der Glas- 
maler hat ganz offensichtlich seine Komposi- 
tionsprinzipien aus der Skulptur übernommen. Er 
greift aber sicherlich weit zurück. Mit den beiden 
Christusdarstellungen gemeinsam ist die Bindung 
an die Rüdrwand, mit der sie verwachsen er- 
scheint. Die Blickrichtung ist auch hier fixiert, die 
Arme steif abgewinkelt, während sich die Hände 
nahezu anklammern. 
Sehr intensiv ist das raumhältige Violettblau der 
zu einem Teppich formierten Butzen. 
Betrachten wir das Glasgemölde mit Dux Leo- 
poldus (Abb. 5), so füllt die bis in Details ge- 
hende Verwandtschaft auf. Die Figur ist frontal 
gestellt, die Augen blicken den Betrachter an, 
die rechte Hand klammert sich an der Mantel- 
spange fest, die linke stützt sich auf das Schwert. 
Symmetrisch ist der Bildaufbau. Von der Spitze 
der Arkade laßt sich eine Linie ziehen, welche die 
die Figur halbiert. Das Schwert steht genau in 
dieser Symmetrieachse. Die Figur ist dadurch be- 
reits fixiert. Die Füße schweben oder drohen ab- 
zurutschen. Eine Eigenbewegung ist ausgeschlos- 
sen. Jeder Bildgegenstand erfüllt seine Funktion. 
Der Dargestellte ist nur auf den Betrachter bezo- 
gen und im Bild isoliert. Die Oberfläche der Fi- 
gur ist wie ein Relief behandelt. Die stark her- 
vortretenden Bleistege betonen die Umrißlinien 
und heben auch Einzelglieder hervor. Die Ver- 
bleiung besitzt nicht nur technische, sondern in 
gleich starkem Maße eine ästhetische Aufgabe. 
Sie bindet und trennt. Sie bringt auch einen Hell- 
dunkelkontrast ins Bild und verhindert das lnein- 
anderfließen der Farben im optischen Sinn". 
Eine reiche Ornamentierung weist die Kleidung 
des Dargestellten auf, der dadurch besonders 
würdevoll und ausgezeichnet wird. Der Mantel 
ist verbrämt und durch eine Spange mit Wap- 
penbroschen zusammengehalten. Hut und 
Schwert erweisen sich als Attribute. Das Reper- 
toire an Motiven ist überaus groß. Allein die 
einzelnen Streifen des Mantels beweisen das. 
Über dem Spitzbogen befindet sich eine burg- 
öhnliche Phantosieorchitektur, wie wir sie auch 
in mittelalterlichen Miniaturen vorfinden. Diese 
„villes sur arcatures" sind mit ikonologischem 
Inhalt versehen und binden die Figur in ein 
Himmelsbild ein, das als Abbild des Himmli- 
14 
schen Jerusalem zu betrachten ist 1'. Diese Eigen- 
art der Darstellung in der mittelalterlichen Kunst 
scheint uns völlig nur vom Gesamtzusammen- 
hang erklärlich. Zu Füßen Leopolds ist eine basi- 
likale Anlage dargestellt, deren Obergadenfen- 
ster genau eingezeichnet sind. Zu erkennen ist 
eine Front des Querschiffes mit zwei Fenstern. 
Darunter sind umgeklappte Strebepfeiler zu 
sehen. Über der Vierung sitzt ein polygonaler 
Dochreiter. Der Charakter dieser Architektur 
weist konkret auf ein Zisterzienserstift hin. 
Mit Dux Leopoldus muß einer der Herzöge der 
Babenberger gemeint sein. Von ihnen besitzt 
Leopold Vl., der Glorreidie, die größte Bedeu- 
tung, weil er als Gründer des Stiftes Lilienfeld 
gilt. Mit der Architekturminiatur ist wahrschein- 
lich Lilienfeld gemeint. Die Strebepfeiler können 
heute noch an der Nordfront des Querschiffes 
erkannt werden, ebenfalls die in die Nordwest- 
ecke eingebaute Kapelle. 
Zwischen den vorhandenen Darstellungen der 
Agnes und des Leopold klafft genealogisch eine 
Lücke. Aus bestimmten Gründen kann aber an- 
genommen werden, daß es sich früher um eine 
Art Stammbaum, nach dem Muster des Baben- 
berger-Zyklus in Heiligenkreuz, gehandelt ha- 
ben muß. ln die Reihe unseres Stammbaums 
können wir mit Sicherheit Leopold lll., den Hei- 
ligen, einfügen. 
Es liegt aus rein stilkritischen Überlegungen 
nahe, daß der aus Auferstehung und Himmel- 
fahrt rekonstruierbare Zyklus mit dem rekon- 
struierbaren Babenberger-Zyklus in Verbindung 
zu bringen ist. Es muß aber dahingestellt wer- 
den, welche Scheibenflöche diese beiden Zyklen 
in Anspruch genommen hätten. Sicherlich wären 
mehrere gotische Fenster damit verglast worden. 
Allein ein so hervorragender Bobenberger- 
Stammbaum muß in eine Kapelle lokalisiert 
werden, die entweder mit einer Stiftung ver- 
bunden ist oder als eine Art Gedächtnis- bzw. 
Palastkapelle verwendet worden ist. Es ist schon 
einmal kurz auf die Cappella Speziosa in Klo- 
sterneuburg verwiesen worden". Wir wissen 
auch, daß sie Glasgemälde beherbergt hat". 
Um 1300 ist die Kapelle etwas umgestaltet wor- 
den, was uns nach erhaltene Details beweisen, 
die in der Franzensburg in Laxenburg um 1800 
verbaut wurden "s. Die Kanzel, eine Arbeit um 
1300, kam nach Kirchberg am Wechsel". 1799 
wurde die Cappella Speziosa nämlich wegen 
Baufälligkeit abgetragen. Die in Steyr befind- 
lichen Glasgemälde kamen 1884 aus Loxenburg 
hierher". Vielleicht ist anzunehmen, daß unsere 
Glasgemälde sowie andere Teile der Ausstat- 
tung auf die Restaurationsplöne Albredits I. zu- 
rückgehen. Diese Annahme geht aber auch gut 
mit der Vorstellung über die Bedeutung und das 
Aussehen der Cappella Speziosa überein, die 
sicherlich an französische Vorbilder anknüpfte 
und dem Typus der Palastkapelle nahekom". 
Das konnte bereits K. Oettinger nachweisen ". 
Zum Abschluß sei noch auf die grundsätzlich 
andere stilistische Auffassung des Zyklus im 
Kreuzgang des Stiftes Lilienfeld (Abb. 6) hin- 
gewiesen. Für F. Kieslinger waren bei der Zu- 
schreibung an den sogenannten Annaberger 
Meister nur Qualitätsmaßstäbe relevant". Die 
Unterschiede werden uns aber bereits in forma- 
ler Hinsicht klar. Der Lilienfelder Zyklus besteht 
aus Medaillons mit Szenenbildern. Die Figuren 
sind wohl noch einem Rahmen eingeschrieben, 
bewegen sich aber, schaffen Körperraum, indem 
sie aufeinander bezogen werden. Die vollstän- 
dige Lösung von der hinterlegten Folie ist noch 
nicht möglich. Die graphische Linienführung ist 
außerordentlich subtil und gibt den Figuren 
etwas Miniaturhaftes, das sofort eine Beziehung 
zu den Bibliae pauperum ober- und nieder- 
6 Glasgemüldezyklus. 
Lilienfeld, 
Kreuzgang 
Stiftskirche, 
Anmerkungen 20-38 
z" Der Terminus „Langpaß" läßt sidi nicht genau festlegen. 
Man hat darunter einen Rahmen mit dem Seitenverhältnis 
(Länge-Breite) 2:1 zu verstehen. 
1' Vgl. E. Strauß, Zu den Anfängen des Helldunkgels. _in: 
Hefte des Kunsthistorischen Seminars der Universität 
München, 1963, S. 18, Anm. 33. _ 
"J. Baltrusaitis, Villes sur arcatures, in: Urbanisme et 
architecture, Etudes ecrites et publiees en Fhonneur de 
Pierre Lavedan, Paris 1954, S. 31 ff. g _ _ 
E. Frodl-Kraft, Architektur im Abbild, ihre Spiegelung in 
der Glasmalerei, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, 
XVll (XXI) 1956, S. 7 ff. _ 
H. Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 
(1950), S. 299 ff. 
" E. Frodl-Kraft, Ein Glasgemüldezyklus um 1300. 
14 e. Cernik, Das Au ustiner-Chorherrenstift Klosterneu- 
burg, Statistische un geschichtliche Daten, Klosterneu- 
burg 1958, S. 137. 
"R. Wagner-Rieger, Die Baugeschichte der Franzensburg 
in Laxenburg, 54. Wechselausstallung der Usterreichi- 
schen Galerie, Wien 1967, S. 9 ff. 
7' Klasterneuburg, Zentrum der Gotik, Ausstellung im 
Stittsmuseum anläßlidi der Klosterneuburger Kulturtage, 
Klasterneuburg 1960, Abb. 5. 
"J. Harter, Die sogenannten Laxenburger Fenster in der
	        
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