Bringt heute die Kunst Mechanisches ins Spiel,
Automaten, Androiden („künstliche Menschen"),
bleibt die Frage nach dem „sozialen Bezug"
solcher Basteleien nicht aus, in einer Zeit der
„Spielhöllen", Flipperkästen und lärmenden Mu-
sicboxen, in der die Vergnügungsindustrie kriti-
siert wird, weil sie die industriellen Arbeits-
zwänge mit dem Einsatz bunterer Mittel nur
fortsetze. Sind die Automatenmenschen, die von
Harry Kramer und Studenten des Bereichs Ma-
lereifPlastik der Gesamthachschule Kassel ge-
schaffen wurden, als Anklage einer „technischen
Welt" zu verstehen, oder sind sie „affirmativ",
das heißt eine ästhetisierende Verherrlichung
dessen, was revolutionär zu verändern wäre,
statt es im Jux zu verharmlosen? lndes ist solche
soziale und klassenkömpferische Gretchenfrage
an die Kunst, vorgetragen mit einem permanen-
ten und schon erstarrten Ernst, der lustlos macht,
nicht mit einer simplen Ja- oder Nein-Entschei-
dung zu beantworten.
Zunächst handelt es sich um ein Thema, das
Proiekt- und Gruppenarbeit ermöglicht. Man
muß sich an einer Sache, die vielfältige Ar-
beitsgänge erfordert, zusammenfinden, es sind
Modellformen herzustellen, es ist zu bemalen,
Mechanik zu installieren, es gibt Detailarbeit in
Menge, unumgehbare Exaktheiten sind zu leisten,
und dauernder Austausch des „Know-how" ist
nötig, um die Sache zum Funktionieren zu brin-
gen. „Die Sache": das ist nicht nur eine Anzahl
vorweisbarer Endprodukte, sondern auch die
Gruppenarbeit selbst. Die ist nicht selbstver-
ständlich und sollte auch nicht, als eine ästheti-
sche Praxis, unter romantischem Rückgriff mit
Bauhüttengeheimnis, Präraffaeliten-Bund oder
dem Traum van Goghs von einer Künstlerge-
meinschaft assoziiert werden. Jedoch kann solche
Gruppenarbeit dazu beitragen - und die Mit-
glieder der Gruppe haben es praktiziert -, von
der üblichen Künstlerkonkurrenz etwas wegzu-
kommen. Man lernt die Schwächen des anderen
kennen - von denen die eigenen vielleicht nicht
so weit entfernt sind - und deren verhaktes Ver-
hältnis zur Stärke, daß beides einen Prozeß
bildet, der unter günstigen Umständen zum viel-
zitierten „Lernprozeß" werden kann. Kromer
meint, eigentlich liebe man die Leute nicht um
ihrer Stärke, sondern um ihrer Schwächen willen,
und entscheidend sei, daß der Gruppenprozeß
allen Beteiligten durchsichtig würde; so unge-
fähr redet er, aber vermischt mit Geschichten
aus Las Vegas, Paris und Mexiko, betreffend
den Preis von Cowboy-Ledersötteln oder das
Verhältnis des französischen Königs zu Denis
Papin, gleichzeitig zu jeder Tages- und Nacht-
stunde mit den Händen in Gipshöhlen beschäftigt
oder irgendeinen Fummelkram unter den Fingern,
bis man schwach wird und mitmacht.
Daß die Gruppe Androiden herstellte, ist auch
mit persönlichen Motiven verknüpft. Natürlich
gibt es auch historische Einflüsse: Das Mechani-
sche in seiner Wiederbelebung durch die Kinetik,
der plastische Neorealismus, die Verbindungs-
möglichkeit beider „Richtungen" unter Erinne-
rung ans historische Raritäten- und Kuriositäten-
kabinett, etc. Aber für die Beteiligten war es
auch reizvoll, sich selbst in Gips abzunehmen -
das Ganze begann mit Eigenabgüssen, und die
sind auch noch in den jetzigen Figuren -, und
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wurde aus der Selbstdarstellung auch ein Stück
Selbstpersiflage. Aber schließlich kann auch im
Persiflieren der Eitelkeit des Sichspiegelns noch
die Eitelkeit stecken, die Eitelkeit persiflieren zu
können, vergleichbar den Verkleidungen, mit
denen iene Leute im Fasching sich häßlich ma-
chen, die zu wissen glauben, in Wahrheit nicht
häßlich zu sein, auch das gehört zum oben er-
wähnten Verhältnis von Stärke und Schwäche.
Aber auch dabei bleibt's nicht stehen im Arbeits-
prozeß, denn endlich durchstehen die fertigen
Androiden mit ihrer beharrlichen Eigenbewe-
gung auch die verschiedenen Motivationen ih-
rer Produzenten.
Das Thema der Gruppenarbeit, das Spielraum
für die einzelnen Mitglieder ließ, der erlaubte,
Ideen zu entwickeln, bot nicht nur den Realisa-
tionen der Ideen Widerstand - in der Vorstel-
lung bewegt sich manches leichter -, es kommt
nun auch in diesem Thema der Widerspruch
zwischen Organik und Mechanik zum Vorschein,
ein durchaus faszinierender. Und hier ist eben-
falls Dialektik erfahrbar; das aber nicht nur
theoretisch, sondern im Vollzug ästhetischer Pra-
xis; Die mechanische Bewegung der Androiden
wirkt nicht lediglich wie eine unvollkommen
organische, ihr gegenüber mag auch die orga-
nische wie eine unvollkommene mechanische wir-
ken, wie bereits Kleist bemerkte, und der Kenner
der Materie verzeihe diesen gängigen Hinweis.
Man entdeckt aber auch, daß iede schnelle Be-
wegung solcher Puppen das Publikum nur zum
Lachen bringt und daß nicht alle Bewegungs-
möglichkeiten zugleich sich abhaspeln dürfen;
daß langsame und geteilte Bewegungen iedoch
unheimlich und faszinierend wirken und daß
neben diese Bewegungsreize bestimmte Material-
verfremdungen treten. So gerinnen z. B. die im
Gipsbindenverfahren abgenommenen Kleiderfal-
ten zu einer befremdlichen Starrheit. Das alles
bietet genug Material zu Reflexionen, und so
kommen auch im Reflektieren die sozialkritischen
Fragen zu Wort, deren Beantwortungen heute
allzuoft prompt und vorprogrammiert erfolgen.
Neben den Androiden finden sich in der Aus-
stellung Dienstleistungs- und Unterhaltungsauto-
muten, ältere Münzautomaten und typische Las-
Vegas-Geldspielautomaten sowie jüngere für
Coca-Cola, Handtücher, Preservative, Seife und
Parfüm. lhr ästhetischer Aufwand interessiert
mindestens ebensosehr wie ihre Zweckbestim-
mung, ein Aufwand, der bei den Unterhaltungs-
opparaten für Schießen, Musik, Bowling, Flip-
pern sich zu einem monströsen Styling verselb-
ständigt. Alle Automaten und Androiden sind
„benutzbar", und der Ausstellungsraum wird zur
Spielhalle.
Doch sollte die Einladung zur Benutzung, die
Kunstausstellungen heute oft aussprechen, auch
in diesem Falle weder umstandslos als eine
Möglichkeit zu „gesellschaftlicher Emanzipation"
interpretiert nach dem amüsierten Publikum
entgegengesetzt die Warnung aus der Kabbala
drohend entgegengehalten werden: „Halt ein!
Mit Gespenstern spielend, wirst du zum Ge-
spenstl" Die Gespenster, die heute die Welt
bedrohen, befinden sich nicht in Kunstausstellun-
gen, und sie sind perfekter als die ausgestellten
Androiden. Auch diesen hier wird es ergehen,
wie den Automaten des berühmten Vaucanson,