I Aktuelles Kunstgeschehenl Wien
Graphische Sammlung Albertina
„Stowasser 1973 - Hundertwasser 1974"
Leider eine Ausstellung, die von einer optimalen
Auswahl weit entfernt war. Hundertwassers künst-
lerischer Schwerpunkt liegt in der Malerei, wie sie
ia vor Jahren bereits im Museum des 20. Jahr-
hunderts zu sehen war. Seine um die Nachkriegszeit
entstandenen Aquarelle und aquarellierten Zeich-
nungen sind in ihrer verständlichen Abhängigkeit
von Vorbildern (Schiele, Klimt, Kampmann) künst-
lerisch unwichtig und unergiebig. Historisch sind sie
nur insofern interessant, als sie von einem be-
rühmten Mann stammen und gewisse Rückschlüsse
auf dessen spätere, absolut eigenständige Ent-
wicklung zulassen. Von der naturgemäß in der
Ausstellung dominierenden Druckgraphik muß
wiederum gesagt werden, daß sie in neueren Bei-
spielen über das Niveau tedinisch perfekter, dodi
künstlerisch erstarrter Aufwendigkeiten nicht hinaus-
kommt. Was somit blieb, waren vergleichsweise
wenige Unikat- und Druckgraphiken von iener
Poesie und formalen Eigenart, die Hundertwasser
mit Recht zu einem der großen Einzelgänger und
Außenseiter der Kunst zwischen 1950 und 1970
Stempeln
(7. 5-30. 6. 1974) - (Abb. 1).
Secession
Rudolf Richly - Retrospektive
Pepo Pichler - Franz Schicho
ln einer Art von berechtigter nostalgischer
Renaissance wurde der 1886 geborene Maler
Rudolf Richly erst in späten Jahren von Sammlern,
Galerieleitern und Museumsdirektoren entdeckt.
Davon gaben während der letzten drei Jahre
Ausstellungen im Belvedere [Österreichische Ga-
lerie), der Landesgalerie in Eisenstadt und dem
Museum des 20. Jahrhunderts Aufschluß. Arrangiert
von Hans Staudacher, kann die tür die Wiener
Secession im Rahmen der verdienstvollen Action
Tusch arrangierte große Retrospektive das Ver-
dienst beanspruchen, Richly am bisher überzeugend-
sten vorgestellt zu haben. Die einfache Bildwelt
dieses Landschafts- und Stillebenmalers mit dem
großen Herzen und einem Gemüt, das die Relativi-
täten des Lebens kennt, konfrontiert mit einer fast
naiven Vorstellungsgabe. Bei Richly ist die Welt
noch in Ordnung, voller Freuden am Menschen, der
Natur und den einfachen Dingen. Sein geradliniges,
künstlerisches Bekenntnis überzeugt durch den
gleichnishaften Charakter seiner malerisch vitalen,
eine Lebenshaltung konsequent spiegelnden poesie-
vollen Umsetzungen
(2.-24. 4. 1974) - (Abb. 2).
Dem unemein großen „pluralistischen" Reservoir
iunger österreichischer Künstler entstammen Pepo
Pichler und Franz Schicho. Beide wurden durchaus
zu Recht mit Kollektiven von 30 bis 40 Zeichnungen
und Gauachen vorgestellt. Gleichermaßen auffal-
lend wie interessant ist die in Schichos sensiblen
Mischtechniken anzutreffende Verschmelzung
verschiedenartigster Motivationen und Stilmamente.
Man denkt an den frühen Pongratz und Hundert-
wasser, an Kinderzeichnungen und den Bereich
automatistischer und psychomotorisrher Kritzeleien.
Doch dies alles sind nur Assoziationen und eher
äußerliche Anhaltspunkte, die der überaus sensiblen,
introvertierten Art gekonnter eigenständiger Um-
setzung nicht im Wege stehen. Schicho ist zweifel-
los ein Talent, dem man echte Entwicklungsmög-
lichkeiten einräumen muß. Den Zeichnungen seines
Namensvetters Walter Pichler vergleichbar sind
auch zahlreiche Blätter Pepo Pichlers. Es spricht aus
ihnen die gleiche konzeptive Grundhaltung, die
Feinnervigkeit und Rasanz des Striches, die das
Andeutungsweise und Skizzenhafte bevorzugt.
Pichlers Blätter besitzen Spannung und Eigenart,
wobei letztere freilich noch stärker weiterentwickelt
und ausgespielt gehört
(2.-24. 4. 1974).
Galerie Schottenring
Pravoslav Sovak
Sovak wurde 1926 in dem böhmischen Städtchen
Vysoke Myto geboren. Er studierte in Prag und
38
Olmütz. 1968 flüchtete er aus Prag in die deutsche
Bundesrepublik. Seit 1969 lebt er in Luzern in der
Schweiz. Mit dem graphischen Werk der letzten
Jahre machte seine erste Einzelausstellung in
Osterreich bekannt. Sie umfaßte 58 Radierungen aus
dem Zeitraum von 1968 bis heute. Sieht man von
der außerordentlichen handwerklichen Qualität ab,
die Sovak kangenial seinen Ausdrucksbestrebun-
gen nutzbar macht, so beeindruckt an seinen
Blättern vor allem der eindeutig ablesbare und
doch ausreichend verschlüsselte Wirklichkeitsbezug.
Soväk erweist sich hier als „Engagierter", dem
aktuelle politische Ereignisse nicht als „Aushänge-
schilder und Etiketten von Kunst", sondern als
stellvertretende Anlässe subiektiver Stellungnahme
dienen. Sovak interessiert das Schicksalhatte des
heutigen Menschen, sein Eingebundensein in ge-
sellschaftliche Apparate und Modelle, seine
politische Ohnmacht, seine Abhängigkeiten und
Freiheiten. Die in seinen kleinen und mittelgroßen
Radierungen spürbare Vereinsamung des einzelnen,
die Fragwürdigkeiten gesellschaftlicher Bezüge, die
Spannungen zwischen lndividuum und Kollektiv,
werden von Sovak in einer äußerst frei assoziier-
baren Symbolik angedeutet und ausgesprochen. Die
Schicksalhaftigkeit des einzelnen bleibt selbst dort
gewahrt, wo der Mensch - wie etwa in den
„Romantischen Landschaften" - als Akteur ausge-
klammert wird und Stimmungswerte, Eigenheiten
und Größenverhältnisse faszinierender Landschafts-
stridte scheinbar zum einzigen Motiv der Dar-
stellungen werden. Sovdks Blätter kennzeichnet ein
ausgesprochener Hang zu Ernst und Melancholie.
Als Element nachdenklich stimmender Betrachtung
stehen sie dabei keineswegs im Gegensatz zur
aufgegriffenen Wirklichkeit, sondern fungieren in
sensibler, technisch virtuos gehandhabter
Umsetzung als eigenständiges, intuitiv erfaßtes und
intuitiv erfaßbares Bindeglied verbindlidwer Aussage
(3. 4.-11. 5. 1974) - (Abb. 3, 4).
Galerie auf der Stubenbastei
Peter Krawagna
Der nachträgliche Hinweis auf diese Ausstellung ist
deshalb berechtigt, weil sidt Krawagna vor allem
im kleinen Format zu einem respektablen Aquarel-
listen entwickelt hat. Freizügiger, doch sicherer
Farbauftrag unterstreicht das Skizzenhafte seiner
Landschaften und figurativen Kompositionen
(8. 1.-2. 2. 1974) - (Abb. 5).
Galerie Herzog im Pferdestall
Otto Dix
Eine erfreuliche Privatinitiative. Rund 120 Zeichnun-
gen und druckgraphische Arbeiten ergaben einen
respektablen Überblick, der vor allem für den
Kenner des Gesamtwerkes ergänzend Aufschluß
gab. Eine Museumsauswahl optimalen Zuschnitts,
wie sie hinsichtlich des facettenreichen (Iuvres
dieses bedeutenden Sazial- und Gesellschafts-
kritikers1B91-1969 als Nachholbedarf für den
österreichischen Kunstfreund notwendig wäre,
konnte allerdings eine derartige Verkaufsaus-
stellung nicht bieten. Einhellig positive Kritiken
(April-Mai 1974) - (Abb. 6).
Galerie 29 - R. Sfremnitzer
Timo Huber und Heinzi Leitner
Unter dem Titel „Small Visians" präsentierte Timo
Huber zeit- und konsumkritische Collagen. Leitners
neue Arbeiten basieren auf Erkenntnissen stereo-
skopischen Sehens, dessen wesentlirhstes Merkmal
darin liegt, daß die beiden Augen des Menschen
parallaktisch verschiedene Bilder wahrnehmen
(April 1974) - (Abb. 7, 8).
Galerie Zentrum
Adolf Frohner
Eine viel Graphik enthaltende Exposition, in
deren Rahmen ein neuer neunteiliger Radier-
zyklus mit dem Titel „Bindungen" vorgestellt wurde.
Auflage 160 Exemplare. Preise der drei verschie-
denen Ausgaben zwischen 8500 und 11.600 Schilling.
Die letztgenannte Edition (Nummern 1-10) enthält
auch ieweils eine originale Handzeichnung des
Künstlers
(27. 4-24. 5. 1974) - (Abb. 9).
Galerie am Graben
Porzellan aus Wien 1718-1974
Eine Ausstellung aus Anlaß der Herausgabe des
gleichnamigen Buches von Waltraud Neuwiith,
erschienen bei Jugend und Volk, Wien-München.
Neben qualitätsvollen Beispielen historischer
Provenienz (art nouveau und art deco) besitzt die
zentral gelegene Galerie am Graben 7 auch ein
reichhaltiges Lager ausgewählter Gegenstände
iunger österreichischer Kunsthandwerker
(11. 3.-11. 4. 1974) - (Abb. 10).
Galerie in der Blutgasse
Rudolf Baschant
Der Künstler wurde 1897 in Salzburg als Sohn eines
Wiener Architekten geboren. Er studierte in Essen
(Folkwangschule) und zwischen 1921 und 1924 am
Bauhaus in Weimar unter Klee, Kandinsky und
Feininger. Außer als Freischaffender war er auch
wiederholt als Botaniker und wissenschaftlicher
Zeichner tätig; - in Linz zwischen 1953 und 1955,
seinem Todesiahr. Baschants kleinformatige Radie-
rungen und Skizzen sind in ihrer Zartheit und
Naturnähe in manchem dem Werk Paul Klees
verwandt. Klee selbst war es auch, der dem
Künstler bereits 1925 „überdurchschnittliche Fort-
schritte und selbständige Meisterschaft in den
Radierungen" bescheinigte. Eine aus dem Nachlaß
stammende verdienstvolle, kammermusikalische
Ausstellung des in Wien bisher unbekannten, in der
Neuen Galerie der Stadt Linz seit mehreren Jahren
mit dreißig Graphiken vertretenen Künstlers
(29. l.-16. 2. 1974) - (Abb. 11).
Galerie in der Passage
Renate Bertlmann
In den Buntstiftcollagen der 1943 geborenen Wie-
nerin zeigen sich Engagement und Wirklichkeits-
bezu im verschlüsselten Aufzeigen einer bildne-
risch eigenständig bewältigten existenziellen
Problematik. Diese unterstreicht deutlich und nicht
ohne lronie Sexualität, Mann-Frau-Beziehungen und
gewisse Spannungen zwischen dem Menschen und
dem Animalischen. Die Künstlerin studierte in
Oxford und anider Akademie der bildenden
Künste in Wien bei Pauser und Kortan
(28. 3.-5. 5. 1974) - (Abb. 12).
Peter Baum