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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 134)

Für den Kunstsammler 
Wilhelm Mrazek 
Österreichischer Jugendstiischmuck 
im Museum für angewandte Kunst 
Seit einigen Jahre hat das allgemeine Kunst- 
verstöndnis einen bemerkenswerten Wandel erfah- 
ren. Nicht mehr das Biedermeier wird als die 
letzte europäische Stilepoche betrachtet, zu der 
man noch eine lebensnahe Beziehung hat, sondern 
die Jahre zwischen 1890 und 1920, die Zeit des 
Jugendstils und der gleichgerichteten europäischen 
Bewegungen Art nouveau und Modern style. Diese 
Stilkunst um 1900 wird nicht mehr unter den Ge- 
sichtspunkten der Dekadenz und des Fin de siecle 
gesehen, sondern positiv bewertet und als der 
Aufbruch der künstlerischen Jugend Europas zur 
Moderne, zu den neuen Zielen des 20. Jahrhunderts 
betrachtet. 
In Wien setzte diese Bewegung mit einer Revolution 
nicht nur auf rein künstlerischem Felde, sondern 
auch mit umwölzenden Ereignissen auf dem Gebiete 
des Kunstgewerbes ein. Im Jahre 1897 wurde nicht 
nur die „Wiener Secession" gegründet, sondern 
erfolgte an dem renommierten Österreichischen 
Museum für Kunst und Industrie ein Wechsel der 
Direktion durch Arthur von Scala, der an seinem 
Institut sowie an der angeschlossenen Kunst- 
gewerbeschule alle modernen Bestrebungen 
favorisierte. Vom Museum und seiner Schule 
strahlten die Tendenzen des Jugendstils über das 
gesamte Gebiet der österreichisch-ungarischen 
Monarchie aus und fanden vor allem in den mit 
diesen Instituten eng verbundenen Fachschulen her- 
vorragende Pflegestötten. Die Künstlergemeinschaft 
der „Wiener Secession" iedoch bekundete ihre 
Tatkraft durch die Errichtung eines die neuen Stil- 
elemente aufzeigenden Ausstellungsgebäudes, der 
„Secession", sowie mit der Gründung der Zeitschrift 
„Ver sacrum", welche die Bestrebungen der iungen 
Künstler breiten Kreisen bekannt machen sollte. 
Damit der neue Geist und die Gesinnung der 
Wiener Secessionisten iedoch eindeutig zu erkennen 
seien, setzten sie an die Stirne des Gebäudes die 
Devise; „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre 
Freiheit". 
Diese Wiener Secessionisten verneinten ganz 
entschieden die traditionelle Unterscheidung 
zwischen „hoher Kunst" und „Kleinkunst", zwischen 
„Kunst der Reichen" und „Kunst für die Armen", 
zwischen den „freien" und den „angewandten 
Künsten". Das Kunsthandwerk, die Arbeiten des 
Kunsthandwerkers sollten mit demselben Maß ge- 
messen werden wie die des Malers, Bildhauers und 
Architekten. Alle Schöpfungen sollten in erster Linie 
dem Leben dienen. Alle Künste sollten bei der 
Gestaltung des gesamten menschlichen Daseins zu 
einem neuen „Lebensstil" zusammenwirken und auf 
diese Weise auch ihre gesellschaftliche Funktion 
erfüllen. 
Das Kerngebilde, das neben der „Secession" am 
eindrucksvollsten die Bestrebungen der Stil- 
kunst um 1900 in Wien widerspiegelte, war die 
„Wiener Werkstätte". Die im Jahre 1903 ge- 
gründete „Produktivgenossenschaft" von Künstlern 
und Handwerkern hatte schon nach kurzer Zeit im 
kulturellen Leben der Weltstadt Wien eine fest- 
gegründete Position und eine anerkannte ge- 
schmacksbildende Funktion. Von all den Werk- 
stöttengründungen hat sie allein den ersten Welt- 
krieg überlebt und bis zum Jahre 1932 stilbildend 
gewirkt. Sie war auch noch in den zwanziger 
Jahren ein „Unternehmen, das alle künstlerischen 
und qualitativen Bestrebungen auf den Gebieten 
des modernen Kunsthandwerkes durch umfassende 
Tätigkeit förderte und pflegte". Ihre Leistungen 
stellten einen entscheidenden Beitrag zu einem 
Wiener Stil von Weltgeltung dar und erstreckten 
sich auf alle Lebensbereiche, vom Hausbau und der 
Inneneinrichtung bis hin zur Mode, zum modischen 
Accessoire und zum Schmuck. 
Dieser Schmuck, zumeist nach den Entwürfen von 
Josef Hoffmann, Kolo Moser, Otto Prutscher, Carl 
Otto Czeschka, Josef Eduard Wimmer und Dagobert 
Peche ausgeführt, Iäßt deutlich die Besonderheit, 
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