Bezeichnung „Abstraction Creation" im Jahre
1931, gerade als Thöny in Paris ankam, wurde
anfangs kaum beachtet. Man lobte wieder die
Treue zur Natur, Geschmack und regelmäßige
Schönheit, man suchte eine neue Harmonie zwi-
schen Mensch und Natur. In der Galerie BilIiet-
Worms stellte Heraut sechs Künstler vor, unter
denen Robert Humblot und Georges Rohner be-
sonderes Ansehen hatten. Man sprach von „For-
ces Nouvelles" und fühlte sich durchaus als
Avantgarde und korrektiv zu den Experimenten
der vorausgegangenen Jahrzehnte. Ältere Mei-
ster wie Henri Manguin, Charles Camoin und
Raoul Dufy beherrschten mit ihrem delikaten
Kolorismus die meisten Galerien. Inmitten dieser
widersprechenden Tendenzen bezog Wilhelm
Thöny seine eigene iPosition, obwohl seinem neu-
gierigen und beweglichen Geist nichts auf dieser
betriebsamen Messe der Aktualitäten entging.
Doch beschränkte er, der ehemals so gesellige
und unternehmende Vorturner aller intellektuel-
ler Riegen in seiner Vaterstadt Graz, seine Kon-
takte nunmehr nur auf wenige Künstler und Kri-
tiker, die ihm gleichgestimmt erschienen.
Obwohl Thöny im gleidten Jahrzehnt wie alle
prominenten Kubisten geboren war und im Cafe
Flore das schönste Porträt zeichnete, das iemals
von Picasso gemacht wurde, fühlte er sich offen-
kundig der iüngeren Generation um die „Fcrces
NouvelIes" mit ihren Reaktionen aiuf die Gewalt-
tätigkeiten der abstrakten Richtungen enger ver-
bunden. Am ehesten steht er mit seiner künstle-
rischen Gesinnung in der Nähe Robert Lotirons,
eines fast gleid-ialtrigen Künstlers, der ebenfalls
ein hervorragender Graphiker war und mit
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Thöny die Vorliebe für Ansichten der Seine-Ufer
und Landschaften aus der lle-de-France teilte.
Auch die Unmittelbarkeit und Sinnenfreude eines
Jean Puy oder Charles Camoin dürften Thöny
von vielen Grübeleien seines ursprünglich so
tragisch gestimmten Wesens befreit haben. Die
Kritik, die für die Grazer Zeit einen bestimmen-
den Einfluß Munchs vermutet, ist auch für Paris
mit bewährter Beflissenheit zur Stelle und zitiert
genießerisdi Raoul Dufy, dem Thöny tatsächlich
persönlidi nöherstand. Auch hier ist der Unter-
schied in der Verfahrensweise evident. Dufy
zeichnet in die Farbe hinein und über die Farbe
hinweg, Thöny aber zeichnet mit der Farbe. Dufy
setzt das Motiv auf breit vorgetragene farbige
Flädien, Thöny baut es aus farbigen Punkten
und Stridien auf. So entstehen die fein rhythmi-
sierten Pariser Stadtansichten mit den Türmen
von Nötre-Dame in einer unbeschreiblich prik-
kelnden Atmosphäre, die vielleicht nur bei dem
Italiener Filippo De Pisis etwas Gleichwertiges in
der Kunst jener Jahre gelingen ließ. Die Land-
schaften aus Sanary-sur-Mer, wo damals auch
Moise Kisling weilte, gehören zu den schönsten
und freiesten Darstellungen, die der Süden
Frankreichs iemals einem Maler abgefordert hat.
Die Troubadoure des „Süßen Frankreichs" und
Lobsänger der „Jois de vivre" waren für Wilhelm
Thäny freundliche Gefährten in dem Jahrzehnt
der aufkommenden Weltangst. Er selbst aber
war in seinem künstlerischen Konzept kü-hner als
die meisten von ihnen. Im Jahre 1938 erzwungen
die Zeitumstönde seine Übersiedlung nach Ame-
rika. Er hatte die Neue Welt schon früher ken-
nengelernt. Aus dieser Erinnerung malte er in
4 Wilhelm Thöny, Paris, Esplonade des lnvalides,
1931-1938. Aquarell
5 xVilhelm Thöny, Sanary-sur-Mer, 1934-1937. Ull
apier
6 Wilhelm Thöny, Paris, lle de la cite, 1931-1938.
Aquarell