Critik an das Licht kommen, die nicht mehr
scheidet, sondern zusammenfügW". Semper hat
sich selbst zu der letzten dieser drei Phasen
Johann Gottlieb Fichtes (Thesis - Antithesis -
Synthesis) hin entwickelt, und zwar bildete bei
ihm die zweite Stufe, konkret gesehen, die kri-
tische Analyse von Einzelphänamenen, eben der
antiken Polychromie und der Ursprünge mensch-
licher Kunstübung in den technischen Künsten.
Beide Phänomene stellte er dann in größere
Zusammenhänge, schließlich in universale, und
fand so das Prinzip, auf das für ihn das Ganze
zurückführbar war, und dieses Prinzip war der
Zusammenhang der Künste.
Es ist bekannt, daß eine Bedeutung der antiken
Polychromie schon Quatremere de Quincy in
einer 1815 erschienenen Abhandlung zeigte".
Spuren antiker Polychromie hatten andere schon
entdeckt. In der Abhandlung de Quincys war
für Semper erstmals der Beweis zu finden, „daß
an den Monumenten der Griechen, und zwar an
den Meisterwerken ihrer besten Zeit, die drei
bildenden Künste, unterstützt von den mehr tech-
nischen Künsten, in so inniger Verbindung zu-
sammen wirkten, daß ihre Grenzen vollständig
verschmolzen waren und sie ineinander auf-
gingen"". Für die „allgemeinere Verbreitung
der neuen (polychromen) Anschauungsweise"
schien Semper Jakob Ignaz Hittorffs polychrome
Wiederherstellung „eines Selinuntischen He-
roum", wie er schreibt, am wichtigsten. Gemeint
war wohl Hittorffs 1830 erschienene Abhandlung
über den Empedoklestempel zu Selinuntaf. In
Karl Hammers Monographie über Hittorff von
1968 findet sich eine eingehende Darstellung der
damaligen Polychromie-Kantroverse". Sempers
eigener erster Beitrag zur Polychromiefrage er-
schien 1834". Dort heißt es: „Das Ebenmaß der
Grundformen, die man an diesen Trümmern
noch bewundern muß, obgleich sie alles bedun-
gen notwendigen Schmuckes beraubt sind, ver-
leitete uns, im Schmucklosen und Kohlen die
griechische Reinheit zu suchen... Weit entfernt,
das Wesentliche der Antike aufzusuchen, brach-
ten wir in geistloser Nachäfferei iene Mammuts-
knochen erstorbener Vorzeit. .. für unsere ärm-
lichen Bedürfnisse in Anwendung. Das Magere,
Trockene, Scharfe, Charakterlose der neueren
Erzeugnisse der Architektur läßt sich ganz ein-
fach aus dieser unverständigen Nachäfferei an-
tiker Bruchstücke erklären"? Als Exkurs sei hier
erwähnt, daß Semper hier natürlich nicht für das
voraussetzungslos Neue ohne Kontinuität zur
Vergangenheit eintritt. Er wendet sich nur ge-
gen Nachahmung, und zwar eben zugunsten
schöpferischer, steigernder Kontinuität mit dem
überzeitlich Gültigen in der Vergangenheit, und
er wendet sich speziell gegen die anorganische,
stereometrisch bestimmte Kunst des Rationalis-
mus im Gefolge der Aufklärung, die Kunst des
Vormärz.
Semper erklärt weiter, „...daß die gemalten
Verzierungen an griechischen Monumenten mit
den plastisch auf ihnen dargestellten und über-
haupt mit dem Ganzen im höchsten, vollkom-
mensten Einklang des Charakters und der Aus-
führung stehenu". Semper nimmt an, daß durch
Systematisierung der Verzierungen „die Antike
mit ihren Umgebungen im Raum und in der Zeit
wieder in Einklang" gebracht werde". Unter an-
tiker Polychromie wird hier sowohl die der Archi-
tektur als auch die der Plastik verstanden. Eine
Resonanz seiner Anschauung sah Semper vor-
nehmlich bei Carl Friedrich SchinkeP".
Die wichtigsten Jahre der Beschäftigung mit der
Kunsttheorie folgen bei Semper dann etwa ab
1850; vermutlich entstanden der „Stil" und die
meisten anderen ähnlichen Publikationen in den
fünfziger Jahren.
In den fünfziger Jahren galt Sempers Interesse
besonders dem zweiten genannten Phänomen,
dem Verhältnis von Architektur und technischen
Künsten. Das war ein umfassenderer Ansatz als
der von der Polychromie ausgehende. Dieser
neue Ansatz führte anscheinend zur eigentlichen
Entwicklung van Sempers Kunstlehre, deren Po-
stulat vom Zusammenwirken der Künste in den
veröffentlichten Schriften allerdings nicht mehr
bis zum von Semper intendierten Abschluß ge-
langte.
Bei seinen Untersuchungen kam Semper zu dem
Ergebnis, „. . . daß die Geschichte der Architektur
mit der Geschichte der Kunstindustrie (sc. Kunst-
gewerbe) beginnt, und daß die Schönheits- und
Stilgesetze der Architektur ihr Urbild in denje-
nigen der Kunstindustrie haben. Die Gesetze
der Proportion, der Symmetrie und Harmonie,
die Prinzipien und traditionellen Formen der
Ornamentik, selbst iene Elemente der architek-
tonischen Formensprache, welche wir mit dem
Namen Gliederungen bezeichnen, wurden zum
Teil lange vor der Begründung der Architektur
als einer selbständigen Kunst erfunden und aus-
geübt"? Die Rolle der Architektur definiert
Semper wie folgt; „Die Architektur ist also die
letztgeborene der Künste, zugleich aber die Ver-
einigung aller Zweige der Industrie (sc. Kunst-
gewerbe) und Kunst zu einer großen Gesamt-
wirkung und nach einer leitenden ldee." Die zur
Zeit dieser Ausführungen, 1853, nach Sempers
Ansicht noch bestehende Trennung zwischen
Kunstgewerbe einerseits und Architektur sowie
„hoher Kunst" andererseits gilt ihm demnach als
eine der Hauptursachen eines Verfalles der Archi-
tektur" und der übrigen Künste, „die kein Band
mehr fesselt und vereinigt"". Auch Richard Wag-
ner spricht im 1850 erschienenen „Kunstwerk der
Zukunft" über eine Trennung der Künste von
einer einheitstiftenden Macht, eine Trennung,
die statt zu Freiheit zu Willkür geführt habe.
Allerdings ist für Wagner diese Ordnungsmacht
das Drama, „im Drama ist sich der Mensch
nach seiner vollsten Würde künstlerischer Stoff
und Gegenstand zugleich", führt er aus". Unter
dem Drama subsumiert Richard Wagner also
auch die Architektur. Auch für Semper hat das
Drama Bedeutung, aber primär durch den not-
wendigen „Festapparatus, das improvisirte Ge-
rüst", insofern dieses Anlaß zu „monumentalen
Unternehmungen" wurde, worauf noch einge-
gangen wird, wenn vom Monumentbegriff die
Rede ist".
Semper nimmt an, daß das geschilderte Zusam-
menwirken der Künste von Anfang an bestan-
den habe, und „auf einem Vergessen iener uralt-
hergebrachten Typen", die durch dieses Zusam-
menwirken entstanden, beruht für ihn beispiels-
weisedie, wie er sagt, „grob-materialistische
Anschauung, wonach das eigene Wesen der
Baukunst nichts sein soll als durchgebildete Kon-
struktion, gleichsam illustrirte und illuminirte Sta-
tik und Mechanik, reine Stoffgebungwß
Auf dieser Basis wirkte Semper didaktisch, unter
anderem durch Anregung der Gründung von
Kunstgewerbemuseen.
Hier wird derjenige Teil des Referates abge-
schlossen, der verfolgte, wie Semper an zwei
Einzelphänomenen die Gesetzlichkeit des Zu-
sammenhanges der Künste zeigte und dabei zu
einem Architekturbegriff gelangte, der über die
Baukunst als solche hinausgehend die Architek-
tur als Ordnungsmacht im Universum der Künste
auffaßte. Es werden Äußerungen Sempers über
den Zusammenhang der Künste angeschlossen,
die auf einer umfassenderen Sicht beruhen und
den Zusammenhang universell erweitern.
Wie erwähnt, sieht Semper beim zunächst für
das Drama bestimmten provisorischen Gerüst
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