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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 165)

Kurt Rossacher 
Zu Gianlorenzo Berninis 
Transfiguration 
Ein Forschungsbericht 
 
Im Jahre 1967 hat der Verfasser an dieser Stelle 
ein ovales Tonrelief der Verklärung Christi als 
Werk Berninis veröffentlicht und in Fotomontagen 
als nicht ausgeführtes Modell für das fehlende 
Zielbild in der Glorie über der Kathedra Petri im 
Petersdom dargestellti. Als Beweis dafür wurden 
vorwiegend morphologische Argumente und 
Nachweise der Werkseinheit vorgelegt. 
Die wissenschaftliche Resonanz war groß. Gerade 
unter Berninispezialisten und ebenso unter Theo- 
logen und lkonologen gab es Zustimmung, wäh- 
rend unter dem Durchschnitt der Wissenschaftler 
Verblüffung und teilweise sogar Ablehnung ein- 
trat. 
Am treffendsten formulierte die Berniniforscherin 
Antonia NavaIRom das Problem: i-La ricostruzio- 
ne e ardita ma persuasiva-t ("Die Rekonstruktion 
ist kühn, aber überzeugend-M. Ja, sie erfordert 
Kühnheit des Denkens und Kraft zu logischem 
Schließen. 
Rudolf Wittkower, Columbia UniversitylNew York3 
(w... Ihre Rekonstruktion des Kathedra-Fensters 
ist genial...-r), forderte zur weiteren Erforschung 
der Quellen auf. Dabei gab es natürlich eine erste 
Schwierigkeit, da der betreffende Band der vDe- 
creta et resolutionesu im Archiv der Fabbrica San 
Pietro verloren ist. Die vorhandenen Giustificazio- 
ni (Handwerkerbelege) betreffen dabei nur ausge 
führte Arbeiten, nicht aber Projekte und Modelle. 
Es mußt jedoch festgehalten werden, daß schon 
der Beschluß der Fabbrica von 1626, der erhalten 
ist, eine nTraditio claviumrt vorsieht. Die vorgeleg- 
te Rekonstruktion mit Hilfe des Ovalreliefs ergibt 
wörtlich diese Schlüsselübergabe. In einer Amts- 
zeremonle, flankiert von den Zeugen Moses und 
Elias, die das Gesetz und die Propheten bedeuten, 
schweben von der zentralen Figur des Erlösers 
Schlüssel, Tiara und Kathedra nach unten. 
Ein wichtiges Ereignis für die Beweisführung war 
die endliche Entdeckung der ursprünglichen Her- 
kunft des Reliefs: Es stammt aus dem Palazzo 
Chigi-Saraceni in Siena, aus der Familie des Pap- 
stes Alexander Vll. Chigi, des Bauherrn Berninis. 
Mit dieser Quelle war die wichtigste Provenienz 
gegeben. Die Bedeutung dieser Herkunft verstärk- 
te sich noch dadurch, daß von den Chigi-Sara- 
ceni bereits vor etwa 50 Jahren ein anderes wich- 
tiges Tonmodeli verkauft wurde: Berninis Bozzet- 
to des Stuhles, heute im Museum DetroitIUSA. 
Beide Modelle, Stuhl und Ovalrelief, sind im glei- 
chen Maßstab gehalten. Sie waren für ein einzi- 
ges Altarwerk, den Altar der Kathedra Petri, be- 
stimmt. 
Ebenso wichtig war die Feststellung, daß auf dem 
Brustteil der bedeutsamen "Dalmatica di Carlo 
magnoii im Schatz von San Pietro - dem Krö- 
nungsornat der Kaiser - dasselbe Bild, die Trans- 
figuration, dargestellt ist. Sie trägt die Schrift ME- 
TAMORPHOSIS, das griechische Wort für die Ver- 
klärung am Tabor, die Transfiguration. Das Tabor- 
bild ist damit als lnvestitionsbild des Papsttums 
erwiesen. Damit ist der ikonclogische Beweis da- 
für erbracht, daß das Ovalrelief in einzigartiger 
Weise an diese Stelle paßt, ja gehört. Das Mosaik 
der Metamorphose von Ravenna tritt damit geistig 
als Zielbild an die Längsachse des Domes. 
Diesen lkonologiebeweis hat der Verfasser an die- 
ser Stelle 1971 veröffentlicht4. 
Zur selben Zeit bezeichnete Hans Kauffmann in 
seiner werksmonografischen Darstellung der Ka- 
thedra erstmalig das leere Fenster in der Glorie 
als i-Verklarungu, das heißt Transfiguraticn-S. Er 
benennt damit das abstrakte Bild mit dem Namen 
des figurativen Reliefs. Damit ist von einem ganz 
verschiedenen Ausgangspunkt dasselbe Denkre- 
sultat erreicht worden. Das abstrakte nonfigurati- 
ve Bild heißt dasselbe wie die figurative Lösung. 
Auch eine künstlerisch sehr nahestehende Nach- 
wirkung, der Altar Giovanni Giulianis für die Kir- 
che in Gaaden bei Wien mit der Transfiguration, 
konnte veröffentlicht werdenß. 
Angesichts des nahenden Berninijahres 1980 wur- 
de 1979 im Salzburger Barockmuseum eine Aus- 
stellung veranstaltet, in deren Katalog als Essay 
die bisherigen Forschungen zur Glorie dargestellt 
und anschließend Entwürfe des Seicento vorge- 
stellt wurden. Bedeutende internationale Samm- 
lungen haben sich mit Leihgaben an dieser Aus- 
stellung, die unter der Patronanz von Kardinal 
Paolo Marella, dem Präsidenten der Fabbrica San 
Pietro, stand, beteiligt7. 
Wissenschaftlich war es ein großer Gewinn, daß 
Wilhelm Messerer im Katalog der Ausstellung mit 
seinem Beitrag "Verklärung und Heiliger Geistrr 
die Gleichwertigkeit und Austauschbarkeit der 
beiden Bilder, dem Fenster mit der Taube und der 
Transfiguration, aus den Schriftquellen nach- 
wiesß. 
Erstmals wurde in diesem Ausstellungskatalog 
auch eine wichtige Quelle erforscht, das Tage- 
buch des Chevaller de Chantelou, der während 
Berninis Reise nach Paris 1665 dessen Aussprü- 
che festhielt. Es ist eine Reihe von Aussprüchen 
über die Kathedra Petri festgehalten. Er spricht 
von seiner schwersten Aufgabe, die ihn nmehr 
brauchte als Weib und Kind-i. Dies alles, während 
der jetzige Altar mit dem offenen Fenster in Rom 
so gut wie fertig war. König Ludwig XlV. wird zi- 
tiert mit den Worten wHabt ihr schon gehört vom 
Skandal der Kathedra Petri?-i. In Rom wird nach 
Berninis Rückkehr aus Paris nur noch die Taube 
ins Glasfenster gemalt. Zur großen figurativen Lö- 
sung kam es nicht. 
Eine weitere bedeutende Analogie zeigt der Salz- 
burger Dom. Über seinem Giebel steht figurativ 
die Transfiguration, die Metamorphose. Sie weist 
zurück nach Rom, nach Ravenna. Dasselbe Bild 
wie bei Bernini. - Publiziert an dieser Stelle 
19789. 
Nach den genannten Publikationen werden die 
Beweise für die vorgelegte Rekonstruktion nach 
folgenden Gesichtspunkten angeboten: 
1. Morphologisch 
2. Hinsichtlich der Werkseinheit 
3. lkonologisch 
4. Nach den Quellen 
5. Nach der Provenienz 
Die Idee bleibt weiterhin wiardita, ma persuasivau 
- kühn, aber überzeugend. Ihr zu folgen erfordert 
Mut und Denkkraft, Eindringen. Als Hauptbild des 
Petersdomes sollte die Verklärung erscheinen, die 
Metamorphose figurativ dargestellt durch die Ge- 
stalten von Christus, Moses und Elias. Jedoch 
auch das lichterfüllte leere Fenster mit der Taube 
heißt Verklärung, Metamorphose - in einer non- 
figurativen, abstrakten Lösung. 
Noch weitere Forschungen werden folgen müs- 
sen, um diesem künstlerisch und kulturhistorisch 
einzigartigen Phänomen gerecht zu werden. 
Kurt Rossacher 
Zu Gianlorenzo Berninis 
Transfiguration 
Ein Forschungsbericht 
Anmerkungen 1-9 
' ROSSBCHGV Kurt, Das fehlende Zißlbild dSS Petersdomes-Bem 
nis Gesamtprojekt lür die Kamedra Pehi. in: Alte und mudsrna 
Kunst. Heft 9511967, s 2-21, 
1 Anloniu Nnvn-Collini. 196a schriftlich. 
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USS Pelßßdvmes. Sillbllfgßf Baroßkmuseum. ehemals ßomlnlsKonxeptl rSt Peter.in:Alleundmodernel(unsl.Heii 
Fürst Chigi-Sarace n, Siena. H9lI97I. s. 2-13. 
 
 
Kaufmann Hans. Gfovanni Lorenza Bemini. die hgürlichsn 
Kompositionsn. Berlin 1970. 
Rosacher KLM. Giovunni Giulianis Hachallav von Gaaden und 
Glanlorenlo Born in: Alle und moderne Kunsl, Heft l35ll974. 
S. 12vl 4. 
Die MUIBIIIOVDPIUBG. Künsllerenlwürla das römischen Barock. 
Aussmllungskalalog, Sulzhurger Burockmuseum 1979. 
Wllhslm Mammr. Vorklirung und Halliger Geist. m: Dre Mata- 
nmrpnoso. Ausstlllungskllllog. Snllburgor Burockmuseum 
1979. 
Rossachar Kun. Blick In du Fenster. Deutung der Sulzburger 
Domlassado, 1n: Alle und moderne Kunst, um 15911918. S. 14. 
27 

	        
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