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zur Ausführung der Klang-Aufgabe lauteten beispielsweise:
»am Ohr drehen«, »fallen lassen, rollen«, »offenhalten bis
Surren ertönt«, »behutsam ans Ohr halten, Überraschung«,
»zerknittern«, »klingeln«, »verdrehen«, »reiben«, »kratzen«,
»einstecken und auf- und abschwingen lassen wie eine
Wippe«, »rein- und rausschieben« und »im eigenen Rhythmus
schaukeln lassen«. Solche Instruktionen verlangten nach einer
sinnlichen Reaktion und lösten an sich schon sinnliche
Assoziationen aus.
Knowles betrachtete die Objekte, die die drei Freunde einge
sammelt hatten, tatsächlich als »intim, weil keiner sie ansieht;
man kann sie völlig neu entdecken«.’^
Wie Theodor Adorno sagt:
Ästhetik präsentiert der Philosophie die Rechnung dafür,
daß der akademische Betrieb sie zur Branche degradierte.
Sie verlangt von Philosophie, was sie versäumt: daß sie
die Phänomene aus ihrem puren Dasein herausnimmt und
zur Selbstbesinnung verhält, Reflexion des in den Wissen
schaften Versteinerten, nicht eine eigene Wissenschaft
jenseits von jenem. Damit beugt Ästhetik sich dem, was
ihr Gegenstand, gleich einem jeden, unmittelbar zunächst
will.”
Ähnlich erleichtern Knowles, Corner und Fontana die
Reflexion über Objekte in ihrer Unmittelbarkeit, indem sie sie
aus ihrer »bloßen Existenz« herausheben. Eine genaue
Beobachtung der Welt geht mindestens auf Leonardo da
Vincis Entdeckung von Bildern in Marmorschlieren und
Holzmaserungen zurück und setzt sich fort bei Dada-
Künstlern wie Kurt Schwitters, dessen Merzbau und
Merzbilder aus in den Straßen der Stadt gefundenen
Gebrauchsgegenständen konstruiert waren, in Duchamps
Readymades, den »gefundenen« und erweiterten Objekten
der Surrealisten bis hin zu Cages Interesse an gewöhnlichen
Formen und Hintergrundgeräuschen und Rauschenbergs
Bildobjekten des Combine painting.
Natürlich war es schwierig, hinter dem Körper des einzelnen
Künstlers das visuelle, akustische und haptische Anliegen
aller Körper zu sehen, für die die Körper der Künstler und
Künstlerinnen in ihrer gesamten ontologischen, phänomeno
logischen und epistemologischen Komplexität standen - zum
einen, weil ein Körper, der vor anderen Körpern agiert, eine
unglaublich starke Präsenz besitzt, und zum anderen, weil
schon der Modus der Vorführung eine radikale Verschiebung
im normativen ästhetischen Kontext traditionell dargestellter
Objekte konstituiert. Die eigentliche idee, das Selbst (und die
Ideen des Künstlers bzw. der Künstlerin) anstelle eines objek
tiven Substituts dieses Selbst (seine bzw. ihre in einem Objekt
verkörperten Ideen) vorzuführen, war und ist noch immer eine
Herausforderung für die traditionelle Vorstellung von Kunst. In
seinem einflußreichen Artikel »Art and Objecthood« (1967)
verurteilt der Kunsthistoriker Michael Fried jede Kunst, die
»den Betrachter...in eine Situation miteinbezieht«, als
Degradierung der Kunst zur »Seinsweise des Theaters'« und
fordert nichts Geringeres als einen »Krieg« gegen diesen
Feind der Kunst, diese »Antikunst«.Eine Passage in Frieds
Ausführungen zeugt von seiner tiefen Aversion gegen den
Körper als solchen und von seinem neoplatonischen
Insistieren auf Nachahmung. Objekte, schreibt er, müßten
lediglich die »zahllosen Möglichkeiten und Stimmungen, in
denen [der Körper] Bedeutung erzeugen kann«, re-präsentie-
ren, anstatt diesen Körper als das konkrete, selbstevidente
Material zu präsentieren, in dem sich Bedeutung beständig
verschiebt. Aktionen und Aktionsobjekte haben eine noch
größere Aufgabe: als Kommissuren bringen sie Subjekte in die
Nähe einer Konfrontation mit den Grundbedingungen ihrer
Interaktion.
Der Begriff der Kommissur ist auch insofern ein nützliches
Konstrukt, als er es ermöglicht, über das Problem der Ver
marktung von »Performance-Kunst« als Objekt nachzuden
ken. Viele Künstler, die sich als Alternative zur Objekt
produktion der Aktion zuwandten (und viele Kunstkritiker und
Intellektuelle, die über Aktion geschrieben haben, mich selbst
eingeschlossen), taten dies auch, um die Aktionen vor ihrer
Kommerzialisierung und Vermarktung zu bewahren. Kaprow
faßte diese Zielsetzung zusammen, als er 1966 feststellte, daß
»die Malerei inzwischen mehr Symbol als Macht geworden
war...etwas, das eher für Erfahrung stand als direkt mit ihr
arbeitete«.'^ Er forderte die Künstler auf, »neue Werte« zu
schaffen, keine Objekte. Sechs Jahre später brachte Lucy
Lippard im »Vorwort« und im »Nachwort« zu Six Years, ihrem
monumentalen Katalog zu Aktionen und Objekten der
Konzeptuellen Kunst, eine ähnliche Hoffnung - und ihre
13 Alison Knowles im Gespräch mit der Autorin, 1. August 1997,
New York. Sämtliche Zitate von Knowles zu Gentle Surprises for
the Earsind diesem Gespräch entnommen.
14 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, hrsg. von Gretel
Adorno und Rolf Tiedemann, Frankfurt/M. 1973, S. 391.
15 Michael Fried, »Art and Objecthood», in: Artforum, 5,10, Juni
1967, naohgedruckt in: Gregory Battcock (Hrsg.), Minimal Art:
A Criticat Anthology, New York 1968, S. 116-147.
16 Allan Kaprow, Assembtage, Environments, and Happenings,
New York 1966, S. 156.