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Rudolf Schwarzkogler, 3. Aktion, 1965. Privatsammlung
mit einem männlichen Körper.'^' Diese Arbeiten, die sich
deutlich von den gestischen, vor Publikum aufgeführten
Körperaktionen und Happenings seiner Freunde unterschie
den, bezeichnete Nitsch als »apollinisch«-, im Unterschied zu
den eher -'dionysischen« Aktionen der anderen Künstler.’®^ Mit
seinem Freund Heinz Cibulka als Modell (der Künstler, den
auch Nitsch häufig als Modell einsetzte) entwarf und orche
strierte Schwarzkogler eine Serie von Einzelbildern, die
Ludwig Hoffenreich, ein Photograph, der seit Anfang der sech
ziger Jahre mit Nitsch zusammenarbeitete, dann photo
graphierte."'“ In gemeinsamen privaten Studio-Sessions ent
wickelte Schwarzkogler die Inszenierung, Cibulka stellte das
physische Körper-Objekt für die Konstruktion des Bildes zur
Verfügung, und Hoffenreich machte die Aufnahmen. Diese pri
vaten Atelier-Arbeiten beinhalteten keine Aktion, die sich wie
bei einem Happening in der Zeit entwickelte, und waren auch
keine Performances, sondern streng von Schwarzkogler
amangierte, einzelne, simulierte Events.
Diese verführerischen Bilder wirkten zwar wie photographi
sche Dokumente, stellten aber eigentlich nur eine künstliche
Konstruktion, eine Reihe von fiktionalen Ereignissen dar, die
nicht nur in der Form, sondern auch vom Inhalt her symbo
lisch waren. Die Photographien als Zeichen, die vermeintlich
das Reale bedeuteten, waren doch Signifikanten des
Imaginären. So ist Schwarzkogler weder während einer
Körperaktion gestorben noch selbst auf den Photos einer ins
zenierten, fiktionalen Kastration abgebildet.'“
161 Die Angaben über die Anzahl der photographierten Aktionen,
die Schwarzkogler machte, sind unstimmig. Die 1970 von der
Galerie Nächst St. Stephan herausgegebene Broschüre und der
Katalogeintrag zur documenta V von 1972 verzeichnen jeweils
ein Happening (Hochzeit), fünl Aktionen mit einem männlichen
Körper im Sommer und Herbst 1965 und eine letzte Aktion mit
seinem eigenen Körper 1966. Zwei kürzlich erschienene Bücher,
Von der Aktionsmaierei zum Aktionismus, Wien, 1960-1965, und
Wiener Aktionismus, 1960-1970, beschreiben Schwarzkoglers
letzte Aktion als Nr. 6. Die Abweichung rührt meiner Meinung
nach daher, ob die Autoren Schwarzkoglers Hochzeit als Aktion
einstufen oder nicht.
162 Hermann Nitsch, Rudolf Schwarzkogler, in: Schwarzkogier
1940-1969, Wien 1970.
Ende 1968 hatte Schwarzkogler beinahe jegliche Kommuni
kation eingestellt. Seine Zurückgezogenheit beunruhigte
seine Gefährtin Edith Adam wie auch Nitsch und dessen Frau
Eva, eine Psychologin, die ihm zu einer Einzeltherapie bei
einem namhaften Münchner Psychotherapeuten riet.'®
Schwarzkogler hatte angefangen, in der Hoffnung auf
Reinigung und Läuterung von Körper und Geist mit diversen
Heildiäten zu experimentieren. Zum Zeitpunkt seines Todes
befand er sich bereits in einem Dauerzustand starker körper
licher Unruhe. Sein Heilfasten bestand zumeist aus einer
selbstauferiegten Diät aus Milch und Brot.'® In dieser Phase,
erinnert sich Edith Adam, litt Schwarzkogler unter derart hef
tigen Halluzinationen, daß er manchmal in seinem Zimmer
kauerte und sich von Schlangen umzingelt glaubte.'“
Zudem wurde Schwarzkogler zunehmend von Yves Kleins
Photomontage Leap Into the Void besessen. An dem Tag, als
er starb, hatte er schwere Halluzinationen und saß am Fenster
der gemeinsamen Wohnung, während Adam im Neben
zimmer arbeitete. Sie vermutet, daß er entweder hinausfiel
(aufgrund seines veränderten Geisteszustands), sprang (ein
Suizid ais Folge seiner Depression) oder tatsächlich ver
suchte, von dem Wohnungsfenster im zweiten Stock aus zu
fliegen (wie Klein). Wie auch immer die Wahrheit aussehen
mag, Schwarzkogler stürzte am 20. Juni 1969 in den Tod -
und dachte dabei vielleicht an ein Photo.
Sechs Jahre vor Schwarzkoglers tragischem Tod, und drei
Jahre bevor der Wiener Künstler begann, bei der Reaiisierung
163 Nach seiner 12. Aktion vom 6. September 1965 verwendete
Nitsch Cibulka ebenfalls als Hauptmodell in seiner Arbeit.
164 Abgesehen von Schwarzkoglers erster Arbeit, Hochzeit, vom 5.
Februar 1965, einer Aktion mit Schwarzkogler, Cibulka und Anni
Brus, photographiert von Michael Epp, und seiner letzten
Aktion, die er 1966 alleine aufführte, taucht Schwarzkogler nie
als Figur in seinen Bildern auf.
165 Wiener Aktionismus (wie Ammerkung 161), S. 380-81.
166 Dr. Franz Xavier Mayr, Die Darmträgheit: Stuhlverstopfung, Wien
1953, S. 273.
167 Edith Adam im Gespräch mit der Autorin, Wien, April 1978.