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Volltext: Heinrich Freiherr von Ferstel

Ehrgeiz beseelt, hat Ferstel auch das Beste, was er zu leisten vermochte, in dem Ent 
wurf für das Universitätsgebäude niedergelegt und auch in diesem Werk ein Bau 
denkmal geschaffen, das seinen Namen für immerwährende Zeiten in der Kunst 
geschichte verherrlichen wird. 
Wien besitzt aus der jüngsten Bauperiode eine grosse Anzahl vorzüglicher 
Bauten im Renaissancestil, aber bei keinem Bau ist dieser Stil in so reinen Formen 
zum Ausdruck gekommen wie an der Wiener Universität. Der Bau ist heutigen Tags 
noch nicht in allen seinen Theilen vollendet. Es fehlen im Innern des Baues alle Fest 
räume und auch die Bibliothek ist noch nicht fertiggestellt; es fehlen ferner noch 
einige Institute, welche zur Ergänzung der Universität nöthig sind. Auch fehlt an den 
Aussenseiten der Universität noch ein Theil des künstlerischen Schmuckes. Die Rück 
sichten auf den Staatsschatz haben es leider nothwendig gemacht, in Bezug auf die 
künstlerische Aussendecoration Beschränkungen eintreten zu lassen, so dass der Bau 
im Aeussern nicht so reich und so harmonisch ist, wie sich dies der Künstler ursprüng 
lich gedacht hat. Aber trotzdem bleibt der Universitätsbau, so wie er ist, der schönste 
und ohne Zweifel vollendetste Renaissancebau, welchen das moderne Wien aufzu 
weisen hat. Da der Universitätsbau sich in der nächsten Nähe der Votivkirche be 
findet, so hat der Künstler willkommenen Anlass genommen, das freie Terrain von 
der Alserstrasse bis zur Währingerstrasse künstlerisch zu beleben und durch den 
Einfluss, welchen er auf die Bauten in der Nähe der Votivkirche genommen hat, diesen 
Platz gewissermassen einheitlich zu gestalten. Die künstlerische Physiognomie dieses 
Stadttheils ist ein Werk Ferstels und wird es bleiben für alle Zeiten. 
Ferstel hatte im Jahre 1871 eine Reise nach Italien unternommen und alle 
jene grossen Renaissance- und Palastbauten studirt, welche mit seinen Ideen für den 
Universitätsbau im Zusammenhänge standen, so dass sein Geist befruchtet von den 
Eindrücken, die er in Bologna, Padua und Genua, insbesondere aber in Rom empfangen, 
an den Entwurf für den Universitätsbau herangetreten ist. Seine italienische Reise 
hat nicht wenig dazu beigetragen, seinen Geist zu reifen und seinen angebornen 
Schönheitssinn zu entwickeln. Nicht wenige Bauglieder des Universitätsbaues athmen 
einen bramantesken Geist. Sie haben einen harmonischen Rhythmus, der an Schön 
heiten des Goethe’schen Versbaues aus der Zeit, wo er seine Iphigenie in Italien dichtete, 
und Klangformen des Mozart’schen Styles erinnert. Die Handhabung der Formen 
der italienischen Renaissance ist heutigen Tages ebenso verschieden wie die der 
hellenischen Bauformen. Theophil Hansen ist unter den modernen Baukünstlern 
derjenige, der die hellenische Bauform am reinsten anwendet, Ferstel derjenige, 
der die italienische Renaissance am schönsten durchgebildet hat. Nicht das Gross- 
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