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Seite 120 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Flummer 8 
Die Onsichtskarte in der Schule. 
Vom Professor Rudolf Wilhelm (Karlsruhe). 
Die Herstellung oon Ansichtspostkarten hat mit dem Auf 
schwung unserer Kunstdruckoerfahren einen gewaltigen Umfang 
angenommen und ist zu einem förmlichen Industriezweig geworden. 
Und zwar mufj man nach einem Vergleich unserer einheimischen 
Erzeugnisse mit denen des Auslandes Deutschland hierin die Führer 
schaft zuerkennen, trotz der erstarkenden englischen Konkurrenz. 
Bei den romanischen Rationen hat diese Industrie die Kinderschuhe 
überhaupt noch nicht abgestreift. Jn Deutschland findet man die 
„illustrierte Postkarte“, wie sie anfänglich hieß, in jedem Cand- 
städtchen, ja jedem größeren Dorf, das irgend ein romantisches 
Gäßchen, eine alte Stadtmauer, eine anmutige Häuserflucht aufzu 
weisen hat. In Städten gar ist die Zahl der Ansichten oon Strafen, 
Gebäulichkeiten, Denkmälern, Anlagen heute schon unübersehbar. 
Und wer hätte an landschaftlich heroorragenden Plänen, an Aus 
sichtspunkten, Ruinen, Wasserfällen sich nicht schon geärgert über 
die bis zum Überdruß angebotenen Ansichtskarten! 
Wir besitzen aber nicht nur die meisten, sondern wie schon 
angedeutet auch die besten Karten. Und noch immer oeroollkamm- 
nen sich die technischen Verfahren, sadaß man sich angesichts der 
neuesten, sorgfältig reproduzierten „Künstlerkarten“ manchmal zu 
dem Geständnis gedrängt fühlt: mehr und Besseres kann man auf 
einer Postkarte für zehn oder fünfzehn Pfennig schlechterdings nicht 
mehr oerlangen. Die Postkarte hat sich zu einem kleinen Kunst 
werk entwickelt, — selbsfoerständlich gebührt diese Bezeichnung 
nicht dem überall oerbreifeten trioialen, obszönen, bigotten und 
geschmacklosen Schund. 
Wenn sie aber kleine Kunstwerke sind, so stellen Ansichts 
karten einVolksbildungsmittel dar, das sich für die Verwendung 
im Schulunterricht empfiehlt. Zufällig und ganz planlos begann 
ich uor ein paar Jahren, meinen Schulkindern auf dem Cand hie 
und da ein paar Karten zu zeigen, die sich auf den gerade be 
handelten Cehrstoff bezogen: Eandschaften, Städte, Gebäude, Bilder 
usw. was man ihnen oorher mit Worten geschildert und so gut 
als möglich anschaulich gemacht hatte, erblickten die Schüler nun 
auf einem — wenn auch kleinen — Bildchen. Immer haben sie 
mit freudiger Überraschung das Vorgezeigte betrachtet, und wieoiel 
Rußen daraus für ihr Interesse am Gegenstand selbst wie für die 
Unterstützung des Gedächtnisses entspringen kann, brauche ich 
wohl nicht besonders auszuführen. 
Die Postkarte läßt sich oerwenden zur Illustration des ge 
schieht ichen, kunsthistorischen, zoologischen, geographischen und 
sprachlichen Unterrichts, ja sie ist als heroorragendes flnschauungs- 
■ *'el in mancher Hinsicht geradezu unersetzlich. Wohl besitzen 
• -n b-ss-ren Schulen ein paar große Kartons mit An- 
a'erj- für oerschiedene Cehrfächer. Aber jedermann 
weig, was es meist für ein Schund ist; alte, einfarbige Reprodukti 
onen in graubraunem oder schmuiziggrünem Ton, undeutlich und 
oerschwommen, Bilder, die den Eindruck des Originals nicht ent 
fernt ahnen lassen. Wie soll man angesichts eines solchen schokolade- 
farbenen Bildes dem Schüler eine Idee geben, oon der goldgrundi 
gen ITlosaikpracht der ITlarkuskirche oder der leuchtenden Röte des 
Otfo-Heinrichbaus? Hier tritt die künstlerisch empfundene und gut 
wi ’dergegebene Ansichtskarte in ihr Recht; sie hat uor den meisten 
unserer bisherigen Anschauungsmittel das natürliche Kolorit und 
die künstlerische Auffassung ooraus. Unersetzlich isf sie aber auch 
wegen ihres wohlfeilen Preises. Bei allen ITlängeln der Ausführung 
isf unser älteres Anschauungsmaterial nicht einmal billig, sodaß 
die Schulen alljährlich nur Weniges anschaffen oder erneuern können, 
ln Kartenform dagegen läfzt sich um wenig Geld oiel zusammen 
kaufen, was hauptsächlich bei kleineren Volksschulen auf dem 
Cand ins Gewicht fallen dürfte. 
Ich sammle auf Reisen im In- und Ausland planmäßig alle 
solche Karlen, die mir für den Unterricht oerwendbar scheinen. Für 
jede Ration lege ich ein Album an, das nach oier Gesichtspunkten 
eingeteiif ist: Candschaften, Städte, Skulpturen, Gemälde. Daneben 
existieren noch Spezialsammlungen mit IRusterstücken der oer- 
schiedenen Baustile, mit altdeutschen Städtebildern, Volkstrachten 
usw. Für Interesse und Ciebhaberei ist hier kaum eine Grenze 
gezogen. Eine übersichtliche Anordnung der Karten ist aber zum 
raschen Auffinden notwendig. Sowie der Cehrgegenstand es 
wünschenswert erscheinen läßt, hänge ich ein paar Karten zur Er 
läuterung in den Schaukasten, der in keinem besseren Schulzimmer 
fehlt, und erkläre mit einigen Worten, worauf die Schüler zu achten 
haben. So könnte jeder Cchrer wenigstens für sein Fach eine kleine, 
die ihm zugänglichen Anschauungsmittel ergänzende Kartensamm 
lung anlegen, die sowohl ihn als den Schüler interessieren müfzte. 
Und wenn man auch nur erreichte, dofz der Schüler das Bild ein 
mal anschaut, so wäre doch etwas gewonnen; doch etwas bleibt 
immer hängen. 
Roch oon einer andern Seite fällt ein günstiges Eicht auf die 
Ansichtskarte. Ilion spricht so oiel oon Kunsterziehung. Hier hätte 
man ein wirksames mittel zur Bildung des Geschmacks im 
Volk. Ein Schüler, dem man regelmäßig gute Karten zeigt und 
erklärt, lernt bald eine gute Candschaft, ein gutes Porträt oom 
Kitsch unterscheiden, und für arme Candkinder, die nie im Ceben 
eines der Wunderwerke der IRalerei oder Baukunst zu sehen be 
kommen, oon denen sie in der Schule so hohe Töne gehört, für 
die ist eine Kartensammlung ein wahrer Segen. 
Die Postkarte bemächtigt sich allmählich alles Darstellbaren 
und steigert so ihre Verwendbarkeit beim Unterricht. Sie schildert 
uns Eeben und Treiben fremder Völker, zeigt uns Berge, llleere, 
Städte und Flüsse ferner Cänder, führt uns durch Galerien und 
ITluseen unseres Erdteils. Eine Fülle mertuoller Bildungsstoffe fördert 
unsere Kartenindustrie zutage, und oon diesen reichen Schätzen 
könnte mehr als bisher durch die Schule ins Volk geleitet werden. 
Huch die Eitern können hier oiel leisten, indem sie den angeborenen 
Sammeltrieb der Jugend zur Erweckung des Interesses an den oer- 
schiedensten Gegenständen benützen. Knaben und lllädchen sammeln 
gern Ansichtskarten; man gebe ihnen nur einige Fingerzeige zum 
systematischen Sammeln, man gewöhne sie, nur wirklich guten, 
geschmackoollen Sachen einen Platz im Album zu gewähren, dann 
werden sie bald eine wertoolle Sammlung besitzen, an der sie sich 
auch noch als Erwachsene freuen. 
In Erkenntnis des grofjen Bildungswerfes guter Ansichts 
karten wäre mein Ideal und' Vorschlag die Anlage einer gediegenen 
Kartensammlung durch Cehransfalten jeder Art, besonders aber 
durch solche Candschulen, deren Schülern ein umfangreiches An 
schauungsmaterial sonst nicht zur Verfügung steht, — ein Vorschlag, 
der sich, wie ich glaube, wohl ernsthaft erwägen läfzt. „Frkf. Zig.“ 
DÜÄJ 0 □£=]
	        
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