Internationale
$ammler-2ßifurig
Zentralblatt für Sammier, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
4. Jahrgang. Wien, 1. Februar 1912. Nr. 3.
Japanische Vasen- und Biumenkunst.
Von I)r. Heinrich Pudor (Leipzig).
Aut den größten Umwegen und mit den umständ
lichsten Mitteln einen Zweck zu erreichen suchen; das ist
heutige Vasenkunst, noch immer wie vor zehn und
zwanzig Jahren. ? io Giasschrank- und Raritaicokm.st
steckt uns noch immer in den Gliedern, ob w ir ciie Vasen
nun in die Vitrine oder auf den Ciensims stellen. Mein
Gott, es gibt natürlich Vasen, welche so schön sind, üaß
es fast eine Entweihung'sein w ürde, sie in Gebrauch zu
nehmen, daß die kostbarste Orchidee nicht den Kunst
wert der Vase erreicht (wenngleich seltene Orchideen
noch immer teurer sein dürften als schöne Vasen), aber
dies müßte a posteriori kommen, es müßte hinterher und
ganz von selbst kommen, der Bildner aber müßte von
Anfang an die Zw eckform der Vase im Auge haben. Demi
wenn wir die Sache konsequent durchdenken, so müssen
w ir doch sagen, daß das erste und letzte die Form der
Vase ist. Alles andere ist Zutat und Dekoration. Die
Form der Vase, ihr Aufbau, ihre Konstruktion muß aber
doch irgend einer Idee dienen, muß irgend einen Zweck
und Sinn haben. »Muß«, sage ich, und doch sehe ich, daß
es in den weitaus meisten Fällen sich anders verhält,
daher kommend, daß der Künstler oder Former der Tra
dition felgt., von der Tradition nur ganz wenig abweicht
und nicht einmal hierbei dem Zweck nachdenkt, sondern
die Originalität zu befriedigen sucht, während Technik
und Material eine geringe Rolle spielen.
Welches ist aber nun der Zweck, dem eine Vase
dient? Fine Vase kann immer nur den Zweck haben,
Blumen aufzunehmen. Man kann zwar einwenden, daß
es doch Vasen gibt, die ähnlich w ie Büsten oder Gemälde
nur den Zweck haben, angeschaut und bewundert zu
w erden, aber ich sagte schon, daß es wohl Vasen geben
könne, die hinterher als Kunstwerke, nicht als üebrauchs-
gegenstände dienen, oder vielmehr herrschen, daß aber
im übrigen die Gemälde zur freien Kunst, die Vasen zur
angewandten Kunst gehören, und daß eben der grund
sätzliche Gegensatz zwischen dieser und jener darin be
steht, daß die Gegenstände der angewandten Kunst einem
Gebrauchszwecke dienen, und dieser ist bei der Vase
der, Blumen aufzunehmen.
Zum überwiegend größten Teile erfüllen nun unsere
Vasen, mögen sic noch so schön dekoriert sein, diesen
Zweck in einer höchst unvollkommenen Weise, ja recht
viele sind sogar gewissermaßen w i d e r den Zweck ge-
j staltet, gleich als habe man sich bestreben wollen, sie
für ihren Zweck so ungeeignet als möglich zu machen
(vielleicht sollten sie gerade dadurch etwas Hoch-
künstlerisches bekommen ?!).
Es muß der Wächtersbacher Steingutfabrik zum
Ruhme nachgesagt werden, daß sie als die, sow'eit mir
bekannt, erste mit dieser Unsitte gebrochen hat und sicii
bestrebt hat, Vasen und Schalen zu produzieren, welche
ihren Zweck, Blumen aufzunehmen, in möglichst voll
kommener Weise erfüllen. »Und Schalen«, sage ich, und
deute damit an, worauf es ankommt. Die meisten unserer
Vasen leiden darunter, daß sie zu hoch gebaut sind und
daß es gar keine Blumen gibt, die man passenderweise
hincinsteckcn könnte. Denn die Blume muß doch natür
lich das richtige Verhältnis zur Vase haben, abgesehen
davon, daß- sie in der Vase stehen und haften muß. Man
kann also ein Verlchensträußchen nicht in eine Vase, die
einen Fuß hoch ist und 6 bis 10 Zentimeter weit ist,
stecken. Es ist stets unschön, wenn man eine hohe Vase
und eine niedrige Blume .zusammenbringt, wenn man
eine breit gebaute Blume ir: einen schlanken Vasensti!
steckt.
Daß wir die Blumenkunst, das heißt die Kunst,
Blumen geschmackvoll zu ordnen, im Gegensätze zu den
Japanern, bei denen sie in einer raffiniert. hohen Blüte
steht, noch nicht erlernt haben, ko^mt hinzu. Wir
pflegen, in eine Vase möglichst viele Blumen hinein
zustopfen, ohne darüber nachzudenken, inwieweit Vase
und Blume zueinander gehören. Das nähere hierüber ge
hört nicht hieher. Nur so viel sei gesagt, daß der Haupt
fehler, den wir begehen, der ist, daß wir zu viel des Guten
tun: eine einzige Blume mit etwas Grün ist meistens
genug für eine Vase. Das Schlimme ist nun allerdings
dies, daß die Blumen, je weniger wir einstecken, desto
weniger Halt haben und an den glatten Wandurgen hin
abrutschen. Und in dieser Beziehung müssen wir eben
von den Japanern lernen war kommen darauf zurück.
Immerhin würde schon viel geholfen sein, wenn die
Vasen im allgemeinen niedriger und. flacher gebaut wür
den und wenn w ir hohe Vasen wirklich nur für größere,
hochstielige Blumen wählen würden.
In Japan ist die Kunst, die Blumen zu arrangieren,
eine Art Kultus, der ebenso wie der religiöse Kultus seine
Gesetze hat, die streng befolgt werden. Man kann füglich