er ist sehr allseitig, eine große russische Landschaft („Dorffest"), mit breitspurigstem
Pinsel tonwahr und sonnenstark hingestrichen, ein moskowitischer Courtens. Noch andere
Landschaüen sehen direkt russisch aus; es ist denn doch die nationale Natur darin, selbst
von der menschlichen Zutat abgesehen. So Sarubins großes Bild: „Pilgerzug", hinan zum
Gipfel mit dem weißen Gnadenkirchlein, mit einer totenbleichen Fahlheit in der ganzen
Tonart, als handle es sich um einen Massenbittgang gegen die Cholera. Wasnjetzow,
Bakst, Sjerow und andere treten hervor; die Birke ist ihr dankbarster nationaler Baum,
nach modernen Begriffen. Krymow aber ist der Meister der hauchartig verschwebenden
Töne; seine Landschaften fließen in dünnsten Verdächtigungen, der Schein des Scheins,
der Duft des Duftes, und dennoch eine deutlich erkennbare Spur von Wahrheit darin. Dann
gerät er über die Grenze und wird Phantast. „WogenspieW, Spuk der Natur, Träumerei
des Auges, kunterbunter Einfall. Eine ganze Gruppe von reinkoloristischen Flecken-
mischern, von Farbenwirbelrührern (Millioti, Sapunow, Sarian) ergeht sich in auserlesenen
Verfänglichkeiten. In Venedig sah man mehr davon und bekam eine Vorstellung, daß
dieses freie Phantasieren auf der Palette für die Theaterdekoration sehr fruchtbar werden
kann. Auch an poetischen Einfällen fehlt es nicht. Etwa wenn Sudejkin in seinem „Fiesole"
eine zu paradiesischem Wirrwarr umgedeutete Landschaft mit den genau nachgebildeten
Engeln aus Fiesoles Goldgrundbildern bevölkert. B. Anisfeld kopiert einmal geradezu aus
dem Spiegel heraus ein Farbengemengsel, das seinen sachlichen Sinn schon ganz verloren
hat. Dagegen wieder hat jakulow in einem großen Wettrennen (Aquarell) etwas von der
überkecken Japanerei eines Hokusai, Theofilaktow mitunter einen Beardsleyschen Zug,
Doßjekin in seinen Pariser Abendstimmungen einen Whistlerschen Hauch, Bilibin in
seiner massenhaften Graphik einen starken Funken abendländischen Holzschnittgeistes. So
sieht man hier auf der ungebleichten Leinwand des nationalen Wesens alle letztmodemen
Stickereikünste des Westens sich produzieren.
ILHELM LEIBL. In der Galerie Miethke sah man eine recht interessante
Leibl-Ausstellung. Obgleich diesen Sommer der Meister von Aibling der Held der
Berliner Sezession war, ist doch auch für Wien mancherlei übrig geblieben. Die privaten
Vorräte sind so reich. Wilhelm Trübner allein konnte vorigen Sommer fast das ganze Leibl-
zimmer in Mannheim bestreiten. Bei Miethke war besonders die Frühzeit des Meisters illu-
striert, jene sechziger Jahre vor dem revolutionierenden Auftreten Courbets in München
(1869), mit den „Steinklopfern" und mit seiner eigenen blusenmännischen, stummelpfeiiigen
Person. Bildnisse aus dem Stegreif, oft skizzenhaft (Splittgerber) mit ein paar gewandten
Wischern aus dem Braun herausgeholt. Es war das Aufkommen des „Tones", dem zuliebe
damals auch Makart und Lenbach ihre blumige Lokalfarbe ablegten. Das war die damalige
„moderne Synthese", aus generationenlangem Genuß von Galerieeindrücken eine persön-
liche Frucht abzuleiten. Nicht genug betont wird von der Kunstgeschichte der Vorgang
und Einiluß Munkacsys auf dieses Geschlecht. Liebennann, Uhde, Albert von Keller und
wie viele noch haben seine Lehre genossen, ihn nachgeahmt und (nicht alle) überwunden.
Auch in der Pinakothek kopierte Leibl damals; einen solchen Van Dyck sah man bei Miethke.
Wie tüchtig Leibl als Schüler lernte, sah man an zwei lebensgroßen Aktstudien von ganz
gediegener Schulqualität, in der Sonnenwirkung sogar darüber hinaus. Den Beginn des
Umschwungs nach Leibls Pariser Zeit, vom Malerischen weg zum Formgerechten, zeigte
das lebensgroße Bild des Barons Stauffenberg aus den siebziger Jahren; bis zum Übermaß
sogar, denn die Form wird da schon zu trocken, sie murnif-iziert sich unter der bildenden
Hand. Man sah in dieser Ausstellung mit Vergnügen, daß die Moderne Galerie zwei sehr
gute Leibl hat. „Kopf eines Bauernmädchens" (vielleicht identisch mit dem jungen
Mädchen „in der Kirche") und einen stark in Licht und Schatten modellierten Frauenkopf.
Aus Miethkeschem Besitz möchten wir der Galerie noch einen im verschwindenden Profil
erhaschten blonden Mädchenkopf wünschen, dessen Skurz förmlich überrumpelt. Mit
Leibl waren noch einige seines „Kreises" ausgestellt. Der Wiener Karl Schuch ist der