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Zeichnung und plastische Wirkung mit den schönsten venezianischen
Barockspitzen in Wettbewerb treten kann. Wir wissen zwar, daß man heute
im allgemeinen die plastische Wirkung bei Textilerzeugnissen für keinen
Vorzug hält; wir müssen aber alte Kunstwerke aus ihrer Zeit beurteilen
und nicht nach heute geltenden Anschauungen. jedenfalls wird kein un-
befangen Urteilender sich dem Reize des Stückes verschließen können. Die
Technik hat, wie angedeutet, mit der des zuletzt beschriebenen Stückes
Ähnlichkeit, weicht aber von ihr auch ab. Hier ist nämlich die das Muster bil-
dende Leinwand nicht ausgeschnitten, sondern der zwischenliegende Leinen-
Kleidereinsatz, gobelinanig in Wolle mit Leinenkene, Grund braun, Ornament weiß, schwarz und grün. Aus
einem spätantik-ägyptischen Grabe, Originallänge 47 Zentimeter
grund mit (violettroter) Seide ausgefüllt und tritt dadurch zurück; in der Mitte
kommt noch Goldstickerei bescheiden zur Anwendung. Die Technik unseres
Stückes Findet sich wohl auch sonst, aber selten in einem in jeder Beziehung
so vollendeten Beispiele. Für manche Zwecke lassen sich aus diesem Stücke
übrigens sicher auch für unsere Zeit nützliche Anregungen ziehen. Nebenbei
bemerkt, hat das Münchner Nationalmuseum ein Hauptstück des Ornats,
von dem diese Kelchdecke einen Teil bildet, erstanden.
Schon oben ist darauf hingewiesen wbrden, wie selten sich ursprünglich
enger mit den Kostümen verwachsene Stickereien erhalten haben; es war daher
erfreulich, einen reich gestickten Einsatz zu erlangen, wie erbei Morgenkleidern
der Damen in der späten Barock- und in der Rokokozeit vom Halse bis zu
den Füßen zu reichen pflegte. Der Streifen ist in reicher Batiststickerei
ausgeführt, in der Art des sogenannten point de Saxe; besonders auffällig ist