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Volltext: Monatszeitschrift XXIV (1921 / Heft 5 und 6)

Man muß lang in anderen Gegenden suchen und es nicht linden, bevor 
man etwas für Eigentum einer bestimmten Gegend halten kann. Die Sonder- 
entwicklungen der einzelnen Gebiete erkennen wir einstweilen nur ungefähr. 
Für die Malerei rät Glaser" sicher mit Recht zu größerer Zurückhaltung: 
„Es führt zu weit, schon in dieser frühen Epoche von einer bayrischen und 
einer fränkischen, einer schwäbischen und einer mittelrheinischen Malerei 
reden zu wollen. Allein der böhmische Stil zeichnet sich deutlicher ab, nieder- 
rheinisches und oberdeutsches Kunstgut glaubt man, unterscheiden zu können. 
Aber selbst über die Landesgrenzen hinaus bleiben die Übergänge fließend . . ." 
Gewiß ist unvergleichlich mehr Plastik aus dieser Zeit erhalten als Tafel- 
malerei; trotzdem ist Erkenntnis auch der plastischen Sonderentwicklungen 
heute wohl noch zum großen Teil Selbsttäuschung. Mit vielen Denkmälern 
verbindet man, seit man sie kennt, die Vorstellung ihres Entstehungsortes, 
und diese Assoziation unterstellt sich als Erkenntnis örtlicher Eigentümlich- 
keiten. Beim Durchvergleichen zerrinnt dann soundsoviel des vermeintlichen 
Sondereigentums. Das liegt nicht daran, daß zu wenig lokalgeschichtlich ge- 
arbeitet worden wäre, sondern daran, daß nur lokalgeschichtlich gearbeitet 
worden ist. Von der örtlichen Entwicklung aus mit jeder bildhauerischen Im- 
manenz in den andern Gebieten herumgehen, nur das führt zur Klarheit, wie- 
weit und in welchem Sinne etwas Sondereigentum ist; hier ist Induktion alles. 
Wir unterscheiden etwa fünf Übertragungsmöglichkeiten (ohne sie immer 
scheiden zu können). Zunächst die Wanderschaft während der Ausbildungs- 
zeit; durch sie werden auch Eindrücke von hervorragenden Leistungen 
weitergetragen." Dann die Reisen der Fertigen; da wird nur schwer zu 
unterscheiden sein_ zwischen dem Reisen von Auftrag zu Auftrag und den 
Berufungen; einen hervorragenden Beispielfall hat wieder Dehio bekannt- 
gegeben: den Meister der Ulmer Schreiber und der Saarwerdentumbeni-lguren. 
" Zwei Jahrhunderte deutscher Malerei, Seite 37. 
"' So denkt sich Ernst die Wirkung der Krumauer Madonna. Ihr Meister muß ein großer Lehrer gewesen 
sein. Arbeiten seiner Schule sind beispiellos weit zerstreut. Zu den von Ernst zusammengestellten Sachen kämen 
vielleicht noch: eine Madonna im Krakauer Nationalmuseuni (Leisching, Fig. Holzplastik, z. Band, Tafel LXV, 
Nr. 13a) und eine Buchsbaumstatuette in der Sammlung Clemens-Köln (Zeitschr. für christl. Kunst, xgao, Heft 4, 
Seite 56). Die in Köln-Maria-Lyskirchen gehört kaum mehr hieher, viel eher die in Budapest (abgebildet im 
Budapester Jahrbuch und bei Lilthgen). Dann vor allem - Ernst macht mich darauf aufmerksam _- die Steinligur 
im Schlesischen Museum für Kunstgewerbe und Altertiimer, auch die Holzfigur dort und die Stralsunder Junge- 
Madonna. Semrau hat sie im Museumsjahrbuch besprochen (V11, 191g). Aber Semrau ist oEenbar die Krumauer 
Madonna und Ernsts Aufsatz darilber unbekannt. Er weiß also nicht, daß das opus princeps der ganzen Gruppe in 
Südhöhmen fest verankert ist, daher kommt er wieder mit dem Mittelrhein und Burgund. Er hätte auch sicher 
nicht so spät angesetzt. Die Stralsunder Madonna mag aus den dreißiger ]ahren sein, aber die in Bonn und Thorn 
sind nicht von ihr abhängig, sondern frllher. Die Stralsunder Figur wirkt gegen die in Thom und die in Bonn 
langweilig und halb ausgelaugt und auch an und für ich spät. Vor allem lassen sich die Figuren von Bonn und 
Thom nicht so weit von der Krumauer abrilcken. Und so ist es auch mit der Steinügur im Schlesischen Museum. 
Es wird wohl noch mehr zusammenkommen, und dann wird die Gruppe ala Ganzes untersucht werden 
müssen. Allerdings wird dann einmal die Frage gestellt sein: das alles sind Arbeiten von Schülern oder sonst 
Beeinliußten, und vom Meister haben wir nur das eine Stück? Heute können wir an diese Frage noch nicht heran, 
weil wieder eine bestimmte Art von Induktion dazu nötig ist, und das Material zu dieser Induktion ist noch nicht da. 
Denn zum Ziel fiihrt kein Hin- und I-lervergleichen innerhalb der Gruppe auf Verwandtschaft oder Fremdheit; sondern 
darauf kommt es an: was filr Entwicklungsdistanzen können bei einem Künstler dieser Zeit vorausgesetzt wuden, 
was für eine Wandlungspannweite? Aus dem Material einer fraglichen Gruppe ist hier also überhaupt nichts 
herauszubekommen, sondern nur aus mehreren, vielen. Das ist auch die Schwierigkeit der jung-Diirer-Frage; 
man muß erst wissen, was für ein Ausschlagswinkel möglich ist, dann erst kann man an die Frage, was hineinpaßt.
	        
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