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_kennen lehren. Die Handzeichnungen sind von diesem Gesichtspunkte
aus zur geschichtlichen und individuellen Charakteristik der Meister noch
lange nicht genug gewürdigt und benutzt. Aber bei den Handzeichnungen
Dürer's, wie sie jetzt im Museum ausgestellt sind, geht die Bedeutung weit
über dieses geschichtlich-persönliche Interesse hinaus, denn sie sind nicht
blos Studien, sondern zum grossen Theil fertige, durchaus vollendete
Arbeiten, die für sich Kunstwerke von höchster Schönheit sind. In dieser
Beziehung nennen wir z. B. die 12 Blätter der sogenannten grünen Pas-
sion, die sämmtlicb ausgestellt sind, oder die überaus reizvolle colorirte
Federzeichnung „Maria mit dem Kinde in einer reichen Landschaft."
Andere Zeichnungen vereinigen beides, das Interesse als Studie und den
objectiven Reiz eines vollendeten Werkes. In diese Kategorie gehören
verschiedene Köpfe, z. B. die für den Jacob Hellefschen Altar gemachten
oder auch die liebenswürdigen, gänzlich durchgeführten Pflanzenstudien
nach der Natur, sodann der Löwe, das Kaninchen und anderes. Auch
die Costiimiiguren, von denen wir am Schlusse noch zu sprechen haben
werden, gehören dahin. Eine neue Saite des grössten Meisters schlagen
wieder die Landschaften an, davon sich als Aquarelle und Federzeich-
nungen in mehr oder minder vollendeter Ausführung eine ziemliche An-
zahl ausgestellt finden. Nicht minder wird unsere Aufmerksamkeit von
den Porträtzeichnungen gefesselt, Zeichnungen nach der Natur, die wir
daneben mit den ausgeführten Stichen oder Holzschnitten, denen sie zur
Vorarbeit gedient haben, vergleichen können. Dasselbe ist der Fall mit
vielen Zeichnungen und Studien, die verschiedenen Stichen und Holz-
schnitten zu Grunde lagen, wobei wir noch besonders der Herrn Gsell
gehörigen Zeichnung zu Adam und Eva gedenken müssen. Die ausgestell-
ten Holzschnitte und Kupferstiche sind zu bekannt, als dass wir noch
an dieser Stelle darauf besonders aufmerksam zu machen nöthig hätten.
Zum Schlusse wollen wir aber noch einer anderen dritten Art ge-
denken, durch welche das Museum das Andenken des grossen Meisters
ehrt. Es ist dies eine im Verlage von W. Braumüller erscheinende Fest-
publication, die facsimilirte Wiedergabe von fünf, in der Kunstwelt langst
berühmten Costümzeichnungen Dürer's aus dem Besitz der Albertina, mit
einem kurzen einleitenden Text von Dr. M. Thausing. Diese reizenden
Figuren sind mit unvergleichlicher Treue von Joseph Schünbrunner
auf den Holzstock gezeichnet und in der xylographisehen Anstalt von
F. W. Bader entsprechend ausgeführt worden. Abgesehen von Veran-
lassung und Inhalt wird diese Publication auch als xylographiseher Far-
bendruck seine Bedeutung bewahren.
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