Btilttt zu Nr. m6 der „Mitteilungen des t. k. lleslerr. Museums".
Aufschwung und die Weitere Entwickelung der durchhrochenen "Lingeriew
von Venedig aus beim Durchbruch des neuen Styls ihren Anfang nahm,
so könnte hier wohl die Frage eine Stelle finden: ob sich denn nicht schon
früher an älteren Originalstickereien des Mittelalters Beweise ausfindig
machen Iiessen, dass die Technik der durchbrochenen Nadelarbeiten in ihrer
Verbindung mit Leinengeweben schon lange vor dem Auftreten der oben
gedachten venetianischen Kunstindustrie im christlichen Abendlande gekannt
und geübt worden sei? Wir antworten darauf kurz. Weder durch Angaben
älterer Schriftsteller, desgleichen durch Andeutungen mittelalterlicher
Schatzverzeichnisse, noch auch durch Auffindung älterer Originalspitzen
ist, soweit heutedie archäologische Kenntniss reicht, der stricte Beweis
zu erbringen, dass man ebensowenig in der gothischen, als auch in der
romanischen Kunstepoche das eigentliche Spitzen- und Kantenwerk in seiner
weiteren Entwickelung als dentelles, guipures, d. h. Spitzen als reines
Nadelwerk (point ä Faiguille) und Kanten als Klöppelarbeit (_faites au
coussin, au fuseau) gekannt und geübt habe. Nur zwei oder drei Arten
von Weisszeugarbeiten waren noch vor dem Aufblühen, das die Spitzen-
fabrication mit dem XVI. Jahrh. in der Lagunenstadt nahm, im westlichen
Europa, namentlich in Nonnenklöstern gekannt und geübt, wie das ältere
Originalstickereien des XIII. und XIV. Iahrh. in durchbrochener Leinen-
arbeit beweisen. Es waren dies Netz- oder Maschenarbeiten, lacis, auch
Filetwirkereien oder Filochirarbeit genannt, welche mit eingewirkten dich-
ten Musterungen ausgefüllt wurden. Das Kensington Museum zu London
besitzt unter Anderm ein prachtvolles Altartuch mit quadratisch eingesetz-
ten Filetstickereien, abwechselnd mit Quadraturen von dichten Leinen-
stoffen. In den grossen Quadraten des Netzwerks sind durch points
comptäs Wappen und heraldische Thiere eingewirkt, die ihrer Stilisirung
nach offenbar der letzten Hälfte des XIII. Jahrh. angehören. Auch finden
sich in unserer Sammlung unter Nr. x und y unscheinbare Ueberreste
von Netzstickereien in Seide vor, welche mit eingestickten Wappen und
mit charakteristischen für das XIV. Jahrh. bezeichnenden Ornamenten ver-
ziert sind. Ferner hat unsere Sammlung einen merkwürdigen Ueberrest
von Filet und Maschenarbeit (Iacis) in groben Leinfäden aus dem Beginne
des XIV. Jahrh. aufzuweisen (vergl. Nr. 4 des Katalogs), welcher mit
früh mittelalterlichen, kreuz- und rnäanderförmigen Musterungen en point
comptä bestickt ist '). Ferner linden sich auch diesseits der Berge noch
aus dem Mittelalter einzelne Ueberreste von d jour durchhrochenen und
im Knopflochstich umstickten Weisszeugarbeiten vor, namentlich an Cor-
') Diegqlbßn sind. qbgebildet bei Mrs. Bury Palliser, Histoirc d: la dentelle,
Fig, 5 und 6.
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