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werden kann. Die von der Lysa strahlenförmig auslaufenden vielgestaltigen Kämme
erleichtern die Besteigung des Hauptgipfels mit dem Erzherzog Albrecht'schen Schutzhause.
Eine empfehlenswerthe Ausgangsstation bietet die Thalweite von Friedland, einem
mährischen Grenzstüdtchen am Fuße unseres Berges. Durch den prächtigen Grund des
breiten Satinathales steigen wir ungefähr drei Stunden lang theils durch Wald, theils
über Weideblößen empor zur baumfreien Lysaspitze. Rings heilige Stille des Gebirges,
nur selten tönt das Hämmern des Spechtes oder der schrille Ruf des Hähers an unser Ohr.
Auf dem Wege staunen wir noch über den tosenden Satinafall und die pittoresken Blöcke
des Andreasfelsens. Sie erinnern uns an die im Volksmunde fortlebenden Erzählungen
von Ondrasch, dem schlesischen Rinaldo, der hier seine Schlupfwinkel hatte, bis 1715 der
„Herr der Lysa" sein kühnes Räuberleben in unrühmlicher Weise beschließen mußte. Haben
wir die Serpentinen im letzteren Theile des Weges überwunden, dann können wir in
stummem Entzücken unsere Seele in ein erhabenes Schauspiel versenken. Die karpathischen
Landschaften auf mährischem, schlesischem und ungarischem Boden, die blauen Wälle des
Gesenkes, die reiche schlesische und polnische Ebene: das gibt ein unbeschreibliches Bild mit
Lieblichkeit gepaarter majestätischer Naturpracht. Hunderte von Bergesgipfeln reihen sich
in endlosen Ketten bis zu den Nebelfernen, deren duftigen Schleier selbst das bewaffnete
Auge nicht zu durchdringen vermag. Die Gehänge unseres Riesen decken prächtige Forste.
Ein geregelter Flößapparat mit Triftbächen und Klausen schwemmt die ungeheuren Schätze
von Werk- und Brennholz zu Thale. Auf der Mittagsseite, im wildschönen Recicathale,
dämnwrt ehrwürdiger Urwald. Hier theilt der König der Lysaforste, der stolze Edelhirsch,
sein waldiges Revier mit dem kühnen Steinadler, den wir nicht selten hoch über uns im
lichten Äther schweben sehen. Einen sonnigheiteren Gegensatz zu dem ernsten Grün des
Hochwaldes liefern die blumenreichen Fluren mit ihrer farbenbunten Vegetation. Himbeer-
und Brombeerstauden, Heidel- und Preißelbeeren und eine artenreiche Flora von Forst-
nnkräutern beeilen sich, die durch den Kahlhieb bloßgelegten Strecken in staunenswerther
Fülle zu überkleiden. Auch die würzigen Hochwiesen und Hochweiden mit der primitiven
Almenwirthschaft des Beskydenschüfers dürfen wir nicht unerwähnt lassen.
Im Gebiete der Lysa und des Travny zeigen sich drei anmuthige, gutbesiedelte
Thäler: die Thäler der Moravka, der Moh elnica und der Ostravica. Folgen wir den
Quellbächen derselben aufwärts in das Gebirge, so gelangen wir zu der schon genannten
Dreiherrenspitze der Beskyden, dem massiven Sulov (943 Nieter). Hier oben, in der
Einsattlung des Rückens, stehen einige Hütten, daneben ein hohes Holzkreuz, das „Weiße
Kreuz", und ringsum prangt jenes paradiesische Stück Erde, „in dem die Erhabenheit
und Schönheit der Teschner Gebirgswelt ohne Zweifel ihren Höhepunkt erreicht". Das
Weiße Kreuz vermittelt die Verbindung mit den angrenzenden Thälern. Wir wenden uns