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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 64 und 65)

Ein Künstler der Wiener Werkstätte 
EDUARD JOSEF WlMMER-WISGRILL 
1882 geboren in Wien. 
1901 Aufnahme in die Kunstgewerbeschule. 
Schüler Alfred Rollers und Josef Hoff- 
manns. 
1907- 1922 Leiter der Modeabteilung der 
Wiener Werkstätte. 
1912 Assistent Kolo Mosers. 
1918 Leiter der Klasse für Mode und Textil 
an der Kunstgewerbeschule Wien. 
1921A 1924 Lehrer am ..Art instilul of 
Chicago". 
1925 Mitarbeiter an der Ausstellung ..Les 
arts decoralifs" Paris. 
1930 71939 Ständiger Mitarbeiter der "Neuen 
Freien Presse" fiir Mode. 
1918 1938 Einrichtung von ca. 12 kompletten 
Wohnungen wohlhabender Privatleute 
in Wien. 
1938 Innendekoration des österreichischen 
Pavillons der Weltausstellung Paris, 
"Grund prix" der Weltausstellung Paris. 
1953 Ehrenjahr. dann Pensionierung. 
1955 Großes Ehrenzeichen für Verdienste um 
die Republik Österreich. 
In den letzten 9 Lebensjahren entstanden 
i-una 64 Olbilder und 30 Aquarelle. 
1961 gestorben. 
Eduard Josef Wimmer-Wisgrill. 1882 in 
Wien geboren. gehörte der Generation 
von Künstlern an. die zu Beginn des 
20. Jahrhunderts ihre entscheidenden 
Eindrücke und Impulse von den großen 
Wegbereitern der Moderne, Gustav 
Klimt. Josef Hoffmann und Kolo Moser. 
empfangen haben. Seine Lehrer an der 
Wiener Kunstgewerbeschule, in die er 
im Jahre 1901 eintrat. waren Alfred 
Roller und Josef Hoffmann. der ihn 
im Jahre 1907 mit der Leitung der 
Madeabteilung an der Wiener Werk- 
stätte betraute. Seit dieser Zeit war 
Wimmer-Wisgrill auf dem Gebiete der 
Mode tätig, seit 1912 zunächst als 
Assistent Kolo Mosers. seit 1918 als 
Leiter der Klasse für Mode und Textil 
an der Kunstgewerbeschule in Wien. 
Hier hat er bis zu seiner Emeritierung 
im Jahre 1953 Generationen von Mode- 
schöpfern herangebildet. 
Eduard Josef Wimmer-Wisgrill war sein 
ganzes Leben lang der Mode und ihren 
Erscheinungen verpflichtet. Gerade we- 
gen ihrer Flüchtigkeit. wegen ihres 
ständigen Wandels erschien ihm die 
Made mehr als jedes andere Gebiet 
dem Leben verwandt zu sein und. wie 
dieses. nach Gestaltung. nach Formung 
zu verlangen. Die Mode war ihm mehr 
als eine Alltagserscheinung. als ein 
Ausflufi kommerzieller Interessen, der 
Modeschöpfer mehr als ein Tätiger auf 
dem Felde der ,.angewandten Kunst". 
Die Mode erschien ihm Ausdruck des 
Eros und Spiegel der Schönheit zu sein. 
Jener lebensbestimmenden Kräfte. die 
seit Urzeiten dem weiblichen Wesen 
zugehören. Ausdieser Gesinnung heraus 
blieb sein Schaffen und waren seine 
Schöpfungen für die Mode, so extra- 
vagant sie auch waren. immer nahe 
am Leben. war Eduard Josef Wimmer- 
Wisgrill ein echter Vertreter jener 
Künstlerschar. die zu Beginn unseres 
Jahrhunderts der Moderne zum Durch- 
bruch und zur Weltgeltung verhalf. 
Im folgenden bringen wir aus dem Nach- 
lgß einen Vortrag von Eduard Josef 
Wimmer-Wisgrill, den er vor einem 
Damerifarum in den späten zwanziger 
Jahren gehalten hat. Seine Ausführungen 
erscheinen uns so wesentlich und sympto- 
matisch. daß wir sie unseren Lesern nicht 
vorenthalten wollen. 
Über das Wesen der Mode 
Es war um das Jahr 1925 nach der 
Pariser Ausstellung ..Les arts decoratifs". 
Es war die Zeit des ersten kulturellen 
Besinnens nach der Kriegszeit. des 
ersten offiziellen Wiederciufatmens. Da- 
mals konnte man wieder noch Paris 
reisen ohne Kränkung des National- 
stolzes. hier und dort. Damals zeigte 
sich zum ersten Male deutlicher, was 
Le Carbusier. der moderne Architekt 
Frankreichs und sogar der moderne 
Architekt unserer Zeit. für diese be- 
deutet. Und damais war es auch. daß 
die "Haute couture" von Paris die 
üppigste Auslage ihrer Leistungen der 
ganzen Welt zeigte und das bis dahin 
und auch nachher wieder streng ge- 
hütete Geheimnis ihrer Schöpfung lüf- 
tete. Damals und nur bei dieser Ge- 
legenheit konnte sich jedermann mit 
eigenem. staunendem Auge überzeu- 
gen, wie weit die Mode vorgedrungen 
war f und wie sie festgefahren war! 
Es war die Zeit. da das Hemd- oder 
Mantelkleid der Frauen in unzähligen 
Variationen abgewandelt wurde. von 
kurz zum kürzer und zum kürzesten 
abgeschnitten wurde und nicht mehr 
weiter gekürzt werden konnte. An- 
sonsten waren diese Kleidchen meist 
ohne Ärmel und wie sehr kleine Mäd- 
chenhemden geschnitten. Um aus 
diesem letzten Rest von Bedeckung gar 
Abendkleider zu machen. rnußte der 
schwerste Brokat und die kosbarsten 
Stickereien mit Strass- und Halbedel- 
steinen herhalten. denn die Form. so 
glatt sie war. mußte beibehalten werden. 
Und nach immer sah das Ganze küm- 
merlich aus und nur auf sehr zarten 
Mädchenleibern erträglich. Es war eine 
bis zur äußersten. gefährlichsten Grenze 
geführte Tendenz. Ein .,bis hieher und 
nicht weiter"! 
Sie erinnern sich daran. daß damit 
zur gleichen Zeit der Eatenkopf mit 
ganz kurzen Haaren. die männliche 
Haartracht. getragen wurde. Es war 
der Zenith der Emanzipation in der 
Frauenkleidung. Noch ein Schritt wei- 
ter und die Frauen hätten die kurze 
Kniehose getragen. hätten sie zwangs- 
läufig tragen müssen. 
Aber. dazu kam es nicht. Vorläufig 
nicht! Denn der Vorhang tiel und ein 
neues Spiel begann. Aber das alte war 
es gewiß nicht mehr ganz genau. 
Das Frauenkleid und das Frauenhaar 
wurden wieder lang und Sie. die Sie 
dies erst gestern und vorgestern erlebt 
haben. waren so Zeuge eines "Wer- 
dens der Mode". Es war dieses Mal ganz 
besonders interessant. dabei zu sein. 
wenn sich ein so gewaltiger Vorgang 
vollzieht, den wir vielleicht in diesem 
Ausmaß nur einmal in unserem Leben 
beobachten können. ich glaube aber, 
es ging ihnen als Miterlebende und 
Selbst-Agierende so. wie es uns allen 
als Zeitgenossen der großen Revolution 
nach dem Kriege erging: Sie waren 
zu nahe dabei, zu sehr subjektiv be- 
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