Ein Künstler der Wiener Werkstätte
EDUARD JOSEF WlMMER-WISGRILL
1882 geboren in Wien.
1901 Aufnahme in die Kunstgewerbeschule.
Schüler Alfred Rollers und Josef Hoff-
manns.
1907- 1922 Leiter der Modeabteilung der
Wiener Werkstätte.
1912 Assistent Kolo Mosers.
1918 Leiter der Klasse für Mode und Textil
an der Kunstgewerbeschule Wien.
1921A 1924 Lehrer am ..Art instilul of
Chicago".
1925 Mitarbeiter an der Ausstellung ..Les
arts decoralifs" Paris.
1930 71939 Ständiger Mitarbeiter der "Neuen
Freien Presse" fiir Mode.
1918 1938 Einrichtung von ca. 12 kompletten
Wohnungen wohlhabender Privatleute
in Wien.
1938 Innendekoration des österreichischen
Pavillons der Weltausstellung Paris,
"Grund prix" der Weltausstellung Paris.
1953 Ehrenjahr. dann Pensionierung.
1955 Großes Ehrenzeichen für Verdienste um
die Republik Österreich.
In den letzten 9 Lebensjahren entstanden
i-una 64 Olbilder und 30 Aquarelle.
1961 gestorben.
Eduard Josef Wimmer-Wisgrill. 1882 in
Wien geboren. gehörte der Generation
von Künstlern an. die zu Beginn des
20. Jahrhunderts ihre entscheidenden
Eindrücke und Impulse von den großen
Wegbereitern der Moderne, Gustav
Klimt. Josef Hoffmann und Kolo Moser.
empfangen haben. Seine Lehrer an der
Wiener Kunstgewerbeschule, in die er
im Jahre 1901 eintrat. waren Alfred
Roller und Josef Hoffmann. der ihn
im Jahre 1907 mit der Leitung der
Madeabteilung an der Wiener Werk-
stätte betraute. Seit dieser Zeit war
Wimmer-Wisgrill auf dem Gebiete der
Mode tätig, seit 1912 zunächst als
Assistent Kolo Mosers. seit 1918 als
Leiter der Klasse für Mode und Textil
an der Kunstgewerbeschule in Wien.
Hier hat er bis zu seiner Emeritierung
im Jahre 1953 Generationen von Mode-
schöpfern herangebildet.
Eduard Josef Wimmer-Wisgrill war sein
ganzes Leben lang der Mode und ihren
Erscheinungen verpflichtet. Gerade we-
gen ihrer Flüchtigkeit. wegen ihres
ständigen Wandels erschien ihm die
Made mehr als jedes andere Gebiet
dem Leben verwandt zu sein und. wie
dieses. nach Gestaltung. nach Formung
zu verlangen. Die Mode war ihm mehr
als eine Alltagserscheinung. als ein
Ausflufi kommerzieller Interessen, der
Modeschöpfer mehr als ein Tätiger auf
dem Felde der ,.angewandten Kunst".
Die Mode erschien ihm Ausdruck des
Eros und Spiegel der Schönheit zu sein.
Jener lebensbestimmenden Kräfte. die
seit Urzeiten dem weiblichen Wesen
zugehören. Ausdieser Gesinnung heraus
blieb sein Schaffen und waren seine
Schöpfungen für die Mode, so extra-
vagant sie auch waren. immer nahe
am Leben. war Eduard Josef Wimmer-
Wisgrill ein echter Vertreter jener
Künstlerschar. die zu Beginn unseres
Jahrhunderts der Moderne zum Durch-
bruch und zur Weltgeltung verhalf.
Im folgenden bringen wir aus dem Nach-
lgß einen Vortrag von Eduard Josef
Wimmer-Wisgrill, den er vor einem
Damerifarum in den späten zwanziger
Jahren gehalten hat. Seine Ausführungen
erscheinen uns so wesentlich und sympto-
matisch. daß wir sie unseren Lesern nicht
vorenthalten wollen.
Über das Wesen der Mode
Es war um das Jahr 1925 nach der
Pariser Ausstellung ..Les arts decoratifs".
Es war die Zeit des ersten kulturellen
Besinnens nach der Kriegszeit. des
ersten offiziellen Wiederciufatmens. Da-
mals konnte man wieder noch Paris
reisen ohne Kränkung des National-
stolzes. hier und dort. Damals zeigte
sich zum ersten Male deutlicher, was
Le Carbusier. der moderne Architekt
Frankreichs und sogar der moderne
Architekt unserer Zeit. für diese be-
deutet. Und damais war es auch. daß
die "Haute couture" von Paris die
üppigste Auslage ihrer Leistungen der
ganzen Welt zeigte und das bis dahin
und auch nachher wieder streng ge-
hütete Geheimnis ihrer Schöpfung lüf-
tete. Damals und nur bei dieser Ge-
legenheit konnte sich jedermann mit
eigenem. staunendem Auge überzeu-
gen, wie weit die Mode vorgedrungen
war f und wie sie festgefahren war!
Es war die Zeit. da das Hemd- oder
Mantelkleid der Frauen in unzähligen
Variationen abgewandelt wurde. von
kurz zum kürzer und zum kürzesten
abgeschnitten wurde und nicht mehr
weiter gekürzt werden konnte. An-
sonsten waren diese Kleidchen meist
ohne Ärmel und wie sehr kleine Mäd-
chenhemden geschnitten. Um aus
diesem letzten Rest von Bedeckung gar
Abendkleider zu machen. rnußte der
schwerste Brokat und die kosbarsten
Stickereien mit Strass- und Halbedel-
steinen herhalten. denn die Form. so
glatt sie war. mußte beibehalten werden.
Und nach immer sah das Ganze küm-
merlich aus und nur auf sehr zarten
Mädchenleibern erträglich. Es war eine
bis zur äußersten. gefährlichsten Grenze
geführte Tendenz. Ein .,bis hieher und
nicht weiter"!
Sie erinnern sich daran. daß damit
zur gleichen Zeit der Eatenkopf mit
ganz kurzen Haaren. die männliche
Haartracht. getragen wurde. Es war
der Zenith der Emanzipation in der
Frauenkleidung. Noch ein Schritt wei-
ter und die Frauen hätten die kurze
Kniehose getragen. hätten sie zwangs-
läufig tragen müssen.
Aber. dazu kam es nicht. Vorläufig
nicht! Denn der Vorhang tiel und ein
neues Spiel begann. Aber das alte war
es gewiß nicht mehr ganz genau.
Das Frauenkleid und das Frauenhaar
wurden wieder lang und Sie. die Sie
dies erst gestern und vorgestern erlebt
haben. waren so Zeuge eines "Wer-
dens der Mode". Es war dieses Mal ganz
besonders interessant. dabei zu sein.
wenn sich ein so gewaltiger Vorgang
vollzieht, den wir vielleicht in diesem
Ausmaß nur einmal in unserem Leben
beobachten können. ich glaube aber,
es ging ihnen als Miterlebende und
Selbst-Agierende so. wie es uns allen
als Zeitgenossen der großen Revolution
nach dem Kriege erging: Sie waren
zu nahe dabei, zu sehr subjektiv be-
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