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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIV (1969 / Heft 107)

Auf dem Than-ka ist der „Donnerkeil- 
träger", von zwei Yab-yum-Darstellun- 
gen29 begleitet, in der Mitte des Palastes 
rechts oben zu Enden, versehen mit allen 
wichtigen Kennzeichen: mit blauer Haut- 
farbe, Dhyänaäsana 39, Bodhisattvaornamen- 
tcn 31 und mit Händen, die in der Vajrahum- 
kära-mudrä 31 als Symbole Vajra und 
Ghantä 33 umfassen (Abb. 6). 
Bei den von huldigenden Figuren umge- 
benen Gestalten unterhalb dürfte es sich 
um Kulika-Könige handeln34, während 
oben fast in der Mittelachse des Bildes 
Tsori-kha-pa mit zwei Lamas thront 
(Abb. 7). Tson-kha-pa (1357-1419), der 
vergöttlichte Reformer der gelben Kirche, 
wird als eine Inkarnation des Bodhisattva 35 
der Weisheit Mafijusri betrachtet. Gleich 
diesem verweilen seine Hände in der 
Dharmacakra-mudrä, in der predigenden 
Stellung, die das Drehen des Rades der 
Lehre symbolisiert 36. Die weiteren Merk- 
male sind ebenfalls ausgeprägt: Die spitze 
gelbe Mütze mit den lang herabhängenden 
Ohrlappen und die von den Händen ge- 
haltenen Stcngel mit Lotusblüten, die in 
Schulterhöhe zur Rechten ein Schwert und 
links ein Buch tragen. Beide, Khadga und 
Pustaka, sind Symbole des Mafijusri, wobei 
das Buch die höchste Weisheit versinn- 
bildlicht und das Schwert des Wissens 
zum Zcrteilen der Wolke der Finsternis 
des Nichtwissens dient. 
In der lamaistischen Götterwelt spielen die 
Yi-dam, Schutzgottheiten im Rang eines 
Buddha, die es in zornigen und in fried- 
lichen Formen gibt, und die Dharrnapäla, 
die Verteidiger der Lehre, die die Stufe 
eines Bodhisattva einnehmen, eine erheb- 
lichc Rolle. Sie sind durch die zwei Gott- 
heiten auf der Wolke links oben vertreten 
(Abb. B). Zu den Yi-dam gehört die 
komplizierte, aber milde Erscheinung des 
Sang-dui in der großen Aureole, der mit 
seiner Sakti37 sitzend vereint ist. Beide 
haben blaue Körper, drei Köpfe 4 blau, 
weiß und rot 7 mit ie drei Augen und 
sechs Arme. Die die Yurn urnfangenden 
Hände in der Vajrahumkära-mudrä zeigen 
Glocke und Donnerkeil, die übrigen 
Padmaliß, Khadga39, Cakraw und Cin- 
tämani", Attribute, die sich in den Hän- 
den der Sakti wiederholen. Von den 
Dharmapälas ist der Beschützer der Gelb- 
mützensekte dargestellt, eine furchtbare 
Manifestation des Maijusri, der mit Schä- 
dclkrone und Schädelgiirtel ausgestattete 
Yamäntaka. Seine Form ist die des Bhairava: 
Blaue Hautfarbe, dreiäugiges Stierhaupt, 
zwei Arme und nach rechts ausschreitend. 
Die ihn charakterisierenden Symbole sind 
Schädelschale iind Messer. Sie befinden 
sich auch in den Händen der Sakti, die 
mit Yamantaka zusammen, der als der 
Überwinder des Todesgottes Yama gilt, 
in der Yab-yum-Umarmung gegeben ist. 
Das Rollbild des Österreichischen Museums 
für angewandte Kunst muß als ein be- 
[ehrendes Exempel zu den Traditionen über 
Sambhala und über den Sieg gegen die 
Mohammedaner verstanden werden. Die 
Götter, die mit dem Thema in einem inne- 
24 
ren Zusammenhang stehen, dominieren 
daher nicht, sondern sind an den Rand 
gerückt, um der anschaulichen Erzählung 
und ihrem überaus dichten Bildgefüge 
den weit größeren Raum zu überlassen. 
Wie in der tibetischen Kunst üblich, folgen 
dabei die dem Pantheon entnommenen 
Typen den durch den ikonographischen 
Kanon vorgezeichneten Formen, in denen 
bis heute noch immer Nachwirkungen der 
in Bengalen beheimateten Päla-Schule 
(8.-l1. Jhdt.) weiterleben. Auch die Dar- 
stellung von Tson-kha-pa mit seinen 
Begleitern muß sich zwangsläufig in Pro- 
portionen, Sitzstellungen, Körper- und 
Handhaltungen nach den vorgeschriebenen 
Regeln richten, die durch das in den 
Gesichtszügen zu beobachtende, ganz zarte 
Bemühen um eine gewisse Individuali- 
sierung kaum gelockert werden. 
Eine etwas größere, wenn freilich auch 
noch immer sehr beengte Freiheit ist dem 
lamaistischen Künstler, der meist selbst 
Mönch ist, bei der Schilderung des durch 
den Inhalt der Legenden bedingten szeni- 
schen Geschehens erlaubt. Dies wird deut- 
lich an den mit expressiven Gesten agieren- 
den Figuren aus der Schlacht, an den 
kleinen Mcisterleistungen einer einfachen 
Zeichenkunst, die etwa an dem reitenden 
Drag po ak'or lo can (Abb. 9) bis zum 
Dämonisclien oder bei den Mohammeda- 
nern bis zu den Grenzen des Karikatur- 
haften gesteigert wird. Die winzigen profil- 
ansichtigen Gestalten in den kleinen 
Tempelbezirken innerhalb des „Rades" 7 
Lehrende mit ihren Schülern und Dienern 7 
sind weitgehend schematisiert, obwohl 
auch hier Varianten bemerkbar sind, die 
die eintönige Gleichförmigkeit durchbre- 
chen. Zwischen die Gebäude sind ge- 
legentlich gcnreartig wirkende Menschen 
und Tiere eingestreut. 
Der landschaftliche Umraum bietet dem 
Maler gleichfalls die Möglichkeit zu einer 
freieren Gestaltung. Die tibetische Kunst 
hatte keine eigene Landschaftsmalerei ent- 
wickelt; alle ihre Elemente, die stets nur 
untergeordnete Kulissen zu der eigent- 
liehen religiösen Aussage sind, lieferte die 
chinesische Kunst. Das bezeugen z. B. die 
Berge, die Felsen, das Wasser und die 
Wolken auf dem Than-ka, an dem die 
chinesischen Anregungen noch in mannig- 
facher Weise zu Wort kommen: In der 
ungemein zarten Ausführung der mit 
Sicherheit gehandhabten Zeichnung, unter 
reichlicher Verwendung von Gold, in den 
kurvilinearen Bewegungsmotiven und in 
der verhaltenen Farbgebung, bei der Grün 
überwiegt. Ferner in der dekorativen Note 
und in der Freude an einer möglichst 
exakten Wiedergabe aller Details, mit 
architektonischen Formen, Kampfwagen, 
Thronen, Ehrenschirmen, üppig gemuster- 
ten Kleidern, Rüstungen und Pflanzen usw. 
in chinesischer Manier. 
Dieser starke chinesische Einfluß entspricht 
der Entstehungszeit zu Ende des 17. oder 
am Anfang des 18. Jahrhunderts, als das 
Reich der Mitte den Lamaismus aus politi- 
schen Gründen auf das kräftigste förderte. 
ANMERKUNGEN 29-41 
v Yab-yuxu : Varer-Mum: Stellung. nie uninrsniing 
eines Gottes mit seiner Sakli, m scincr weiblichen icrsri; 
symbolisiert die auf der Vcr nigung der Gegen ie 
beruhende volle Energie des Gollcs und die Vorhin ung 
von Materie und Geist, 
w Silzweise der Meditation. 
11 Bodhiszrtvadarsrellungen tragen iiirsriieiien Schmuck. e 
Bodhiszttvaist ein vor der Buddhnschafl srenendes Wesen. 
11 Mudräs sind symbolische Handhclllungcn. - vnjrriinrn. 
kärii: Der hüchsm und cwigr: Buddha. 
11 Vajm (der Donnerkcil) isr ein inaniiiiehes und Ghantä 
(eine Glocke niir einem Vajragritf) isr ein weibiiehes 
Sinnbild. 
M siehe Anm. 17. 
M Vgl. Anm. a1. 
M Vgl. Anm. 40. 
37 Siehe Anm 29. 
n Lotusblütc, Symbol der Geburt und der Selbstschöpfung. 
39 Schwert: Sinnbild Gir die Erleuchtung der Welt. 
W Das Rad, Zeichen der höchsten Vollkommenheit, steht 
im buddhistischen Sinn für das Rad 69T Lehre. E ist 
Symbol nir die Verkündung der Glaubenswahrheiten, 
deren Verbreitung diiren das Druhrcn des Rades, 11.11. 
durch das Predigen erfolgt. 
41 Das Juwel, das alle Wünschc erniiie.
	        
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