P( Für den Kunstsammler
Burkhardt Ftukschcio
Speisezimmermobiliar von
Adolf Loos um 1900
Das Verhältnis so mancher Wiener Architekten
zum Begriff der Urheberschaft wies in der Zeit um
1900 bis gegen den ersten Weltkrieg hin besonde-
re Eigenschaften auf. Abgesehen vom ldeenim-
port aus dem Ausland, inspirierten sich die Wie-
ner Architekten auch gegenseitig.
Ausländische Neuigkeiten kamen vor allem aus
den angelsächsischen Ländern sowie über diese
aus den englischen Kolonien. ("In Österreich ist
jener modern, der als erster etwas nachmacht-t)
Diese Methode der "offenen Augenu bildete jene
bekannten Wiener Architekten der Zeit vor dem er-
sten Weltkrieg, die wiederum ihrerseits Einfluß
ausübten.
Ganz besonders deutlich ist die freie Einstellung
zu Schöpfungen von Kollegen im Bereich der Zim-
mereinrichtung, beim Mobiliar, zu beobachten.
Adolf Loos war meist ein Glied in diesem Reigen
der Formgebung. Öfter als Geber denn als Neh-
mer.
Er verbrachte schließlich von 1893 an Jahre in den
Vereinigten Staaten und lernte mit großer Wahr-
scheinlichkeit im Zuge der Reise auch Großbritan-
nien kennen.
Er wurde dadurch ohne Zweifel der wichtigste Ver-
breiter angelsächsischer Wohnkultur in Öster-
reich und Mitteleuropa.
Dies muß vorausgeschickt werden, um Herkunft
und Bedeutung des Speisezimmers annähernd
einschätzen zu können. Gefertigt wurden die Mö-
belstücke von der Wiener Tischler- und Einrich-
tungsfirma Friedrich Otto Schmidt. Sie sind in
dunkelbrauner Eiche ausgeführt, matt polltiert.
Die Beschläge, Griffringe, Platten, Scharniere so-
wie Sockelblech sind aus vernickeltem Messing.
die Gläser mit Facettenschliff versehen.
Die uns überlieferte Einrichtung besteht aus einer
großen Anrichte (H 172 cm, B 200 cm, T 65 cm),
einer kleinen Kredenz (H 170,5 cm, B 100,5 cm,
T 59,5 cm), einem ausziehbaren Tisch (H 74 cm,
B 100 crn, L 130,5 crn) und 5 Sesseln.
Die erste Analyse bestätigt durchaus die ange-
nommene Autorenschaft von Loos:
Die Behandlung des Holzes, die Strenge und Aus-
gewogenheit der Proportionen, die Klarheit der Li-
nien, die bereits kubische Umsetzung der dori-
schen Säulchen, die optimale Benutzbarkeit, aber
auch die Unbekümmertheit manchen Details, wie
etwa das Aufsetzen der Ausziehringe des Tisches,
sind eindeutige Hinweise auf den Entwerfer und in
dieser Kombination bei keinem anderen zu finden.
Problematisch wird dieser naheliegende Schluß
jedoch nach Betrachten von Abbildungen eines et-
wa gleichzeitig entstandenen EBzimmers. Es wur-
de unter dern Namen von Architekt Wilhelm
Schmidt publiziert (nicht ident oder verwandt mit
der sogenannten Erzeugerfirma, abgeb. in: Das In-
terieur IV, Jg. Wien 1903, p 230, 231).
Für den flüchtigen Betrachter handelt es sich um
die gleiche Einrichtung. Tatsächlich jedoch ist
kaum ein Detail dasselbe, und zwar derart konse-
quent, daß trotz Verwendung der Grundformen ein
völlig andersartiges Mobiliar entstanden ist.
Schmidt bildet mit einer geradezu intellektuellen
Akribie die Einrichtung zu einem höchst noriginel-
lenu Ensemble um.
Wer wurde nun von wem inspiriert? Oder schöpf-
ten beide aus ein und derselben Quelle?
Tatsächlich läßt sich mehrmals nachweisen, daB
verschiedene Architekten Einrichtungsgegenstän-
de aus dem Programm von Friedrich Otto Schmidt
in ihren Entwürfen verwendeten. Sie variierten die-
se Stücke dann jeweils mehroder weniger nach ih-
ren Vorstellungen. Fortan galten sie dann als
Schöpfungen des jeweiligen Umformers.
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1 Adolf Loos, Kleine Kredenz, um 1900. Elchenholz massiv,dunkel-
braun gebelzt. Beschläge und Scckelblech vernickeltes Mes-
sing. Höhe 170,5 - Breite 100,5 - Tiefe 59,5 cm. Auslührung:
Friedrich ONU Schmidt
2 AdDlf LOOS, Große Anrichte, um 1900. Eichenholz massii
braun geheizt. Besßllläige und Sockelbiech vernickel
sing. Höhe 172 i Breite 200 - Tiele 65 Cm. Ausführur
rich Otto Schmidt