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Schnütgen!
Die Ausstellung kirchlicher Kunstgegenstände in Wien,
welche das k. k. österreichische Museum für Kunst und Industrie in diesem
Jahr für die Zeit vom JjL März bis 31. August veranstaltet hat, zählt zu
den periodischen Spezialausstellungen, welche in diesen Räumen alljährlich
stattfinden. Der Zweck derselben ist ein vorwiegend praktischer, insoweit
die Beeinflussung der modernen Kunst, vor Allem des Kunstgewerbes, das
Hauptziel der Veranstalter ist, welche bald aus dem Museums-Vorstände
allein bestehen, bald, wie im gegenwärtigen Falle, ans einflussreichen Per
sönlichkeiten, die ihn verstärken. Welch reiche Früchte diese Einrichtungen
getragen haben, beweist ein Blick auf die österreichische, vornehmlich die
Wiener Kunstindustrie unserer Tage, die in diesem Museum ihren Aus
gangs- und beständigen Mittelpunkt hat. Neben den praktischen Interessen
vertritt es aber auch streng wissenschaftliche, namentlich archäologische,
wie manche seiner Ausstellungen und Veröffentlichungen beweisen. Der
letztere Zweck trat bei einer Ausstellung kirchlicher Alterthümer, die schon
voi 27 Jahren in Wien stattfand, entschieden in den Vordergrund und
archäologische Tendenzen haben zumeist disr‘ähnlichen-Unternehmen her
vorgerufen, weiche in unserer Heimath zuerst in’s Leben getreten sind
sich immer wiederholt haben, um gegenwärtig in der Crefelder Paramenten-
Ausstellung ihre Fortsetzung zu finden. Im Unterschiede von ihnen hatte
die soeben geschlossene Wiener Ausstellung einen ausschliesslich prakti
schen Zweck, denjenigen nämlich, zunächst in Oesterreich der kirchlichen
Kunst durch Vorführung guter alter Vorbilder wieder neue Anregung zu
geben. In den Kreisen des Museums, welches über seine nächsten die
profane Kunst betreffenden Aufgaben, die weiteren Gesichtspunkte nicht
verliert, auch seine kirchlichen Kunst-Obliegenheiten glücklicherweise nicht
vergisst, scheint nämlich die Anschauung verbreitet, dass auch in Oesterreich
in dem letzten Jahrzehnt die kirchliche Kunst nicht nur hinter der weltlichen
entschieden zurückgeblieben sei, sondern überhaupt viel eher Rückschritte
als Fortschritte gemacht habe. Vortrefflich waren die Anfänge, die sie auch
dort zu Lande gemacht hatte, im Anschlüsse vornehmlich an die Anregung,
die von der Rheinprovinz und ihrem kunstgeschichtlichen Mittelpunkte, dem
Kölner Dome, ausgegangen war. Hervorragende Künstler, anfangs beson
ders Architekten, stellten frisch und begeistert ihr ganzes Können in den
Dienst der neuerwachten kirchlichen Kunst. Was sie von tüchtigen Kunst
handwerkern noch vorfanden und zu beeinflussen vermochten, unterstützten
sie zur Ausführung der zum Theile grossen und lohnenden Aufgaben, die
ihnen von hohen Gönnern und unternehmenden Corporationen gestellt