$ammler-2ßifunfl
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Norbert Ehrlich
27. Jahrgang Wien, 1. Jänner 1935 Nr. 1/2
Sammlerstempel.
Von H, W. May (München).
Man kann nicht behaupten, daß die Freude des
modernen Sammlers immer ganz ungetrübt ist, wenn
ein neuerworbenes Blatt einen sog. Sammlerstempel
trägt. Die Worte ,,Unfug" oder „Barbarei" liegen ihm
dabei sehr oft auf der Zunge. Und nicht selten wird
er sie sogar herzhaft aussprechen, so wenn er z. B,
eine Abstempelung wie jenen an sich so schönen
Kopf in der Pariser Nationalbibliothek in die Hände
bekommen sollte, von dem Meder erzählt, daß dar
auf der- Stempel ^Bihl. nat. Est,“ neckig wie-ein,Kol
lier am Halse der Dargestellten angebracht ist. Ein
anderes abschreckendes Beispiel ist der bekannte
runde Stempel der Uffizien, der auf einer Land
schaft des Paul Brill so „geschickt" aufgesetzt ist,
daß eine der in der Landschaft verteilten Figurinen
auf ihn, wie einen Lufballon hinweist. Das graphische
Kabinett eines Südd. Museums enthält ferner eine
ganze Reihe schöner Barockzeichnungen, deren et
was prüder Vorbesitzer mit großer Geschicklichkeit
alle unbekleideten Schamteile mit — seinem Namens
zug bedeckte. Ich selbst besitze drei Zeichnungen aus
der ehern. Sammlung Dros, die sämtliche mit einem
raffiniert zu nennenden Ungeschick an interessanten
Bildstellen verstempelt sind und sehr zahlreich sind
weiter die Fälle, bei denen ein Sammler ausgerech
net die Signatur sich zum Schauplatz seiner verschö
nernden Tätigkeit aussuchte. Selbst viele öffentliche
Sammlungen begingen solche Barbareien an ihrem
Bestände oder ließen sie, wie wir zu ihren Gunsten
annehmen wollen, durch ihr Personal geschehen. Be
kannt ist der Fall bei einer größeren deutschen
Museumssammlung, die sich eines schönen Tages
einen neuen Stempel von Amts wegen zulegte und
damit einen ihrer Aufseher die ganzen Neuerwer
bungen der vergangenen stempellosen Jahre — etwa
8000 Blatt — durchstempeln ließ. Der gute Mann
hatte nun_ jedenfalls eine Vorschrift im Gedächtnis,
wonach die Bildtafel der Müseumsbücherei im Bild
abzustempeln seien, um ihre Entwendung aus den
Büchern zu verhüten, und stempelte daher auch den
Stock der Graphiken und Handzeichnungen „im
Bild", Dabei entwertete er nun ganz besonders eine
Reihe von Zustandsdrucken genau an den Unter
scheidungsstellen, auf die sein Museum mit Recht
sehr stolz war.
Es ist ganz klar, daß durch solche Abstempe
lungen, wie durch Abstempelungen im Bilde über
haupt, die künstlerische Wirkung eines Blattes be
deutend herabgewürdigt wird und damit letztendlich
auch dessen Marktwert, Doch Wäre es ungerecht,
schon allein dieser Fälle wegen den Sammlerstem
pel in Bausch und Bogen verdammen zu wollen.
Wie entstand er eigentlich? — Bilder und Blätter
pflegten doch nicht verliehen zu werden wie Bücher',,
denen man zu Nutzen der Besitzer ein Exlibris ein
klebte. Leporini meint, Eitelkeit und Sammlerstolz
als die geistigen Urheber der Stempelsucht anspre
chen zu können. Für eine ganze Reihe von miß
bräuchlicher Stempelverwertung mögen diese Gründe
allein stehen und zutreffen. Ich gebe das zu, zumal
aus der täglichen Erfahrung unschwer zu erkennen
ist, daß die typischen Eitelkeitssammler besonders
auf die Abstempelei erpicht sind. Auch berechtigter
Sammlerstolz mag sehr häufig die Bilder abstempeln
und dieser Fall ist verzeihlicher als die leere Eitelkeit.
Der tiefere Grund für die Untugend scheint mir
aber doch wo anders zu liegen. Der Begriff des
Sammlertums ist untrennbar verbunden dem des
eigentümlichen Besitzes. Ein Sammler ohne ein aus
geprägtes Besitzverlangen wäre ein Widerspruch in
sich selbst. Dieser Besitzwillen spielt eine sehr aktive
Rolle im Wesensprozeß des Sammlers, der darum
dessen Existenz sinnlich bestätigt zu haben wünscht,
indem er seinen Besitzvermerk dem Objekte sinnlich
wahrnehmbar „aufprägt". Dies geschieht also im
Grunde ganz ohne jeden Gedanken an einen späte
ren, fremden Betrachter, demgegenüber Eitelkeit und
Stolz ihre Rolle zu spielen beginnen könnten, Der
Abstempelungsakt ist vom Sammler für ihn selbst
gemünzt als deklaratorische Bestätigung des Erwerbs
und Besitzantrittes, als Erfüllungszeichen des Be-
. sitzverlangens. Nur so ist es zu erklären, wenn selbst
moderne Sammlerpersönlichkeiten noch Stempel
führen, denen Besitz, Selbstverständlichkeit ist und
Stolz und Eitelkeit so nebensächlich, daß sie um
derenwillen kaum die Originalität eines Blattes an
rühren würden.
Die Frage nach Wert oder Unwert der Sammler
abstempelung ist also nicht so einfach zu entscheiden.
Praktisch betrachtet ist nicht zu leugnen, daß die