TIROLER ERKER SV VON JOH. DEIN INGER-
INNSBRUCK 51h.
ER eigenthümliche Reiz, welchen die älteren
Wohnbauten Tirols im Vereine mit der
sie umgebenden mächtigen Gebirgsland-
schaft auf die Besucher dieses Landes
auszuüben vermögen, steht nicht zum
geringsten im ursächlichen Zusammen-
hange rnit der malerischen Wirkung
einzelner Architekturmotive, die hier zu
charakteristischen Elementen der landes-
üblichen Bauweise geworden sind. Diese
wirkungsvollen Baubestandtheile sind
einerseits bei den ländlichen Blockbauten die zierlichen, den Haus-
fronten vorgelegten und von weit ausladenden Flachdächern be-
schirmten Gallerien („Lauben") und andererseits die mannigfaltig
gestalteten Erker der völlig gemauerten oder zum Theile in Holz
construirten Wohnhäuser.
In jenen Districten dieses Landes, wo infolge allmälig eingetre-
tenen Mangels an Bauholz oder durch engeres Aneinanderschliessen
der Wohnhäuser rücksichtlich der hiedurch erhöhten Feuersgefahr
die ursprünglichen Blockhäuser durch Steinbauten verdrängt wurden,
ist das Erkerrnotiv an Stelle der Holzgallerien getreten und in aus-
gedehntem Masse zur Anwendung gekommen. Es ziert hier nicht allein
die zahlreichen Burgen und Schlösser, Strassen grösserer Ortschaften
und Städte, sondern auch die fernab von den grossen Verkehrswegen
vereinzelt stehenden Bauernhäuser.
In den oberen Flussgebieten des Inn und der Etsch sind die Bauern-
haus-Erker, bedingt durch die Grundrissanlage der hier typischen
Wohnbauten, in eigenartiger und selbständiger Weise zur Entwicklung
gelangt. Eine genauere Beachtung ihres Aufbaues und ihrer oft sehr
primitiven, jedoch immer richtig verwendeten architekt0nischenEinzel-
formen lässt den vielfachen Einfluss erkennen, welchen diese ländlichen
Haus-Erker auf das stilistische Gepräge der städtischen Erkerbauten in
Tirol ausgeübt haben.
Auch an jenen Theilen der Burgen und Schlösser dieses Landes,
welche im XVI. undXVII. Jahrhundert durch Zu- oder Umbauten verän-
dertwurden, kamenhäufigsolcheErkerzur Anwendung, welche zweifel-
los als directe Nachbildungen der Bauemhaus-Erker zu betrachten sind,
so zwar, dass an solchen, theilweise ihres fortificatorischen Charakters