AUS DEM WIENER KUNSTLEBEN 50'
VON LUDWIG HEVESI-WIENSP
AUSSTELLUNG DER SECESSION. Am 12. jänner hat die Secession
ihre dritte Ausstellung, die zweite im eigenen Hause, eröffnet. Getreu ihrem
Programm, kleinere Ausstellungen, aber in engerem Nacheinander zu bringen,
gibt sie nicht mehr als etwa x 30 Nummern, allein das Niveau ist so hoch gezogen,
wie wir es noch kaum in einer modernen Ausstellung gesehen haben. Fast alles
ist übrigens Ausland, die wirklichen Mitglieder haben sich ja in der Eröifnungs-
ausstellung hinreichend hervorgethan, nun arbeiten sie an ihrer zweiten Aufgabe
weiter, das Wiener Publicum über die massgebende Kunstbewegung im Westen
auf dem Laufenden zu erhalten. Das Hauptstück ist Max Klingers gewaltiges Bild:
„Christus im Olymp." Dank jener künstlerischen Feinschmeckerei, die das
Arrangement im Secessionshause auszeichnet, ist es unter den günstigsten
Verhältnissen zu sehen. Es füllt die Rückwand des Hauses und man schreitet
durch den mittels eines dunklen Velums verdüsterten Hauptsaal zwischen zwei
Reihen Lorbeerbäumchen auf die helle Bildwand los. Das Bild ist in der That
eine 12 Meter breite, gebaute Wand, ein merkwürdiges Gesammtkunstwerk von
Architektur, Plastik und Malerei. Der architektonische Rahmen gründet sich auf
einen gewaltigen Sockel aus grauen und bunten Marmorarten, in den ein dunkler,
gemalter Friesstreifen als Predella eingefügt ist. Dem Sockel sind rechts und
links, eng angeschmiegt, zwei weibliche Rundhguren aus hellem Mannor, die
rechts aus griechischem, vorgestellt. Von jenem dunklen Fries bedeutsam unter-
strichen entwickelt sich, mit heller Freskowirkung, die grossartige Hauptscene;
zwei in Bimholz geschnittene, leicht vergoldete Palmenstämme mit überhängenden
Wedelkronen theilen sie in eine Art Triptychon. Die oberen Theile des Rahmens
sind ein leichtes Gefüge aus schwarzem Holze, der obere Abschluss mit einem
goldenen Mäander verziert. Die Hauptscene stellt eine herrliche Landschaft vor,
mit Pinienhain und Säulenhaus auf luftiger Höhe, von der man auf das Meer
niederschaut. Im Vordergrunde sind die Olympier versammelt, auf bunter
Blumenflur, von Myrten- und Rosenhecken umhegt. Zeus sitzt auf einem weissen
Marmorblock, den Knaben Ganymed zwischen den Knien. Plötzlich erbleicht er,
vom Scheitel bis in die Sohlen, alles Leben stockt in ihm, denn auf ihn los
kommen fünf Personen geschritten, wie er noch keine geahnt. Voran ein hagerer,
bleicher Mann in goldgelbem Talar und hinter ihm vier schlanke, edle Frauen, die
ein grosses schwarzes Marterkreuz tragen: Christus und die vier Cardinaltugenden.
Vor diesen ernsten Gewandfiguren scheut der ganze nackte Olymp ahnungsvoll
zurück. Die unverhüllte Schönheit Heras, Athenas und Aphroditens magvorderhand
noch mit einer Art aristokratischer Verachtung auf die bekleideten Eindringlinge
niederschauen, Dionysos mag dem bleichen Manne unsicher den Becher rothen
Nektars bieten, den er mit einer Handbewegung zurückweist, Ares mag die
Schneide des Schwertes prüfen, Artemis muss bereits von Apollon gestützt
werden und Persephone mit Hades im Schosse blickt besorgt in die Ferne.
Zeus vollends ist plötzlich zu Stein ergraut, seine Allwissenheit weiss sofort
alles. Er ist am Ende, eine neue Welt steigt herauf. Dieses Aug' in Auge zweier
Welten, zweier Zeiten hat der Künstler mit einer tiefsinnigen Naivetät darzustellen
gewagt, wie sie etwa Dürer haben konnte. Das kühnste Motiv aber ist, dass