EDWARD BURNE-JONES ALS ZEICHNER Sie
VON JOSEPH MEDER-WIEN 50'
IE platte Nüchternheit der alltäglichen Erscheinungen,
welche der Realismus in der Malerei endlos
abschilderte, hatte einzelne Künstlerkreise mit
einem Male übersättigt. Man war müde ge-
worden, die Menschen und die Natur mit photo-
graphischer Treue wiederzugeben, ohne jede
Beimischung künstlerischer Phantasie. Das
unaufhörliche Ausbilden und Verbessern der
Technik hatte die Sehnsucht nicht unterdrücken
können, wieder inneres Leben und Empfinden
in Farbe und Stift fliessen zu lassen, über die
Natur die Seele zu stellen, deren Sinnen und Träumen nachzugehen und
freudig ihrem Fluge in das Reich der Poesie, des Traumhaften und
Mystischen zu folgen. An die Stelle der „Verite vraie" trat erlösend und
befreiend der Neuidealisrnus mit seinen phantastischen Erfindungen.
Was früher trocken episch erzählt wurde, wird jetzt in lyrische Stimmung
gebracht. Die alten Zaubergärten des Märchens und der Sage erleben einen
neuen Frühling, die kindlich rührende Poesie des Christenthums erklingt
wieder in hellen Klängen und selbst das übersinnliche Schwärmen auf dem
Gebiete der Vision und des Occultismus dringt in die Schaffensräume der
Künstler.
Diese Flucht von der Welt des Alltagslebens in die des Geistes, des
romantischen Idealismus, wo die poetisch verklärte Schönheit Herrscherin
allein war, vollzog sich zuerst in England. Neben den Realisten erschienen
mit einem Male die Malerdichter (painterpoets), welche in ihren Versen
ebenso malten, als sie in ihren Gemälden dichteten.
William Blake (T 1827) schrieb und illustrirte seine Songs of Innocence,
David Scott 184g) schuf seine „Ode an den Tod", Dante Gabriel Rosetti
(T 1882) veröffentlichte ausser seinen eigenen zahlreichen Gedichten die
Early Italian poets.
Mit Rosetti setzt in den Fünfziger-Jahren eine neue Richtung der
idealistischen Schule, der Praeraphaelismus ein, jene merkwürdige Kunst-
blüte, deren Samen italienischem Boden entnommen und unter Englands
Himmel zum Wachsthum und Gedeihen gebracht wurde, jene eigenthümliche
Mischung von frühitalienischen Formen, wie sie in Florenz vor Raphael von
Botticelli und dessen Schule geübt und angewendet wurden, mit nordisch
schwermüthiger Beseelung; jenes strenge Anklammern an die Decorative der
Renaissance und dennoch selbständige Durchbilden von national englischen
Stoffen. Hier berühren sich die frische Jugend und Naivität des Quattrocento
mit der träumerischen und anämischen Romantik des XIX. Jahrhunderts. Die
Melodie ist altflorentinisch, der Text angelsächsisch.