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Dante Gabriel Rossetti, Selbstporträt
aus dem Jahre 1861
realismus fast von Anbeginn ver-
waist dastehen, als er ein aufs
lebhafteste empfindender Knabe
war und mit einer glühenden
Künstlerseele in diese Umwelt
gesetzt wurde. Zum Glück stellte
sich heraus, dass er mächtiger
war als diese Umwelt, er unter-
lag ihr nicht, sondern er beugte
sie unter sich, er drückte ihr so-
gar den Stempel seiner künstle-
rischen Geistesrichtung auf. In
dieser Beziehung reicht sein Ein-
fluss unendlich viel weiter als der
anderer ausländischer Zuträger
von Kunst in das englische Insel-
reich, die dort Einzelerscheinun-
gen blieben, seien es I-Iolbein,
van Dyck, Händel - oder die
Neueren Herkomer und Taderna.
Nur der Begründer der neu-
gothischen Architekturschule in England, A. W. Pugin, ebenfalls der Sohn
eines nach England geflüchteten Ausländers, diesmal eines französischen
Protestanten, kann in dieser Hinsicht zum Vergleich mit Rossetti heran-
gezogen werden, denn er wirkte durchaus bahnbrechend in der neueren
englischen Architektur, auf seinen Schultern ruht im Grunde deren Entwick-
lung im XIX. Jahrhundert.
III
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DieRossetti-Litteratur istbei dembesonderen Interesse, das diese Künstler-
persönlichkeit bietet, seit dem Tode des Künstlers ziemlich angewachsen.
Die umfangreichste Lebensbeschreibung Rossettis hat sein Bruder William
Michael veröffentlicht; wichtige Einblicke in sein Leben sind ferner durch
die Veröffentlichungen der Briefe Ruskins sowie deren Rossettis an seinen
Freund und Gönner William Allingham gegeben, und schliesslich kommen
noch in Betracht des Freundes und Geistesverwandten Rossettis, Bell Scotts,
Selbstbiographie, F. G. Stephens kleine Rossetti-Biographie in der Portfolio-
Serie und I-Iolman Hunts Aufsätze in der Contemporary Review von 1886.
Die Verfasser der beiden letzten Berichte sind insofern die zuständigsten
Beurtheiler des Gegenstandes, als sie beide Mitglieder jenes Bundes waren,
den Rossetti in frühen Jünglingsjahren als Markstein der neuen Geistesrichtung
gründete, der „Präraffaelitischen Bruderschaf ". In der deutschen Litteratur
sind die Arbeiten von Cornelius Gurlitt über die Präraffaelitenschule in
Westermanns Monatsheften und Richard Muthers in seiner Geschichte der