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langes Thal liegt unter uns, weltabgeschieden und einsam; so weit das Auge reicht, ist
keine Spur menschlicher Ansiedlung, selbst der schmale Pfad, der über den jähen Abhang
hinabführt, verliert sich nach wenigen Schritten im Gerolle. Im Süden thront der große
Priel, der König des Todten Gebirges; blinkender Schnee umsäumt seinen weißgrauen
Gipfel; an ihn schießen wie Krystalle mehrere furchtbar zerklüftete Grate an, von denen
der eine über den Zwillingskogel und das hohe Kreuz, ein zweiter fast parallel vom
Rothgeschirr über das Schneethal und den Edlerkogel gegen Nordwest verläuft. Wir stehen
am Nordrande der Alpen; die Kühnheit der Formen, in deren Gestaltung sich gerade am
Prielstocke die elementaren Natnrkräfte in ihrer ganzen Gewalt zeigen wollten, erlahmt,
je weiter die nordwärts ansgreifenden Arme herabsinken. Die grauen Dolomitnadeln
stumpfen sich ab zu massigen Blöcken, wo der Wald anfängt, schwingen sich die Linien
immer sanfter und in dämmernd blauen Hügelketten enden die zerrissenen Grate, welche
vom Todten Gebirge nach Norden ziehen. Ungeheure Waldmassen erfüllen auf viele
Stunden weit das Thal und liegen in lautlosem Schweigen unter uns; fast beengend wäre
der Ernst dieses eigenartigen Bildes, blickten nicht aus der Tannenwildniß zwei kleine
malachit-grüne Seen, die Ödseen, freundlich zu uns herauf.
Wir kehren zurück an die Terrassen der Steyr und wandern auswärts an derselben
sowie an ihrem Nebenflüsse, der Teichel, in das Thal von Windischgarsten. Auch hier
nach, in einer Höhe von über 600 Meter begegnet uns der fruchtbare, bunte Charakter
des oberösterreichischen Hügellandes; Wiesen und Saatfelder, auf denen noch der Weizen
reift, wechseln mit kleinen Wäldchen, unter Obstbünmen versteckte Einzelngehöfte sind
überall zerstreut, isolirte kegelförmige Waldberge tauchen wie Inseln aus dem sonnigen
Thalbecken auf; um diese Stätte blühendsten Lebens schließt sich aber ein Kranz von hohen
Gebirgen, das breitrückige Warscheneck, die edelgeformte Pyrgasgrnppe, das langgezogene
Sensengebirge und — die Perle von allen — die prächtige Prielkette.
Von dem gastlichen alten Hauptorte des Thales aus suchen wir die schönen
Details auf, die uns die Umgebung in Hülle und Fülle bietet: das im XII. Jahrhundert
als Hospiz für die Kreuzfahrer gegründete Spital am Pyhrn mit der vornehmen
Barockkirche und den Marmorrninen seiner einstigen Abtei, den schwermüthig dunklen
Gleinkersee, den geheimnißvollen Ursprung der Piesling, welche unter einer schwindelnd
hohen Wand in dunkelgähnender Grotte als tiefblauer Tümpel zu Tage tritt und, den
Rand der Felsenschale überflutend, in blendenden Wasserfällen zur Tiefe schäumt. Was
uns aber immer wieder am mächtigsten anzieht, das ist der geheimnißvolle Zauber jener
starren Schrofen, die von Westen hereinlugen, des hohen Priel mit seinen gewaltigen
Nachbarn. Eine vierstündige Wanderung führt uns an dem Fuße dieser Berge in das
Thal von Hinterstoder.