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Ben in Schiffsgestalt, von Percier, nach Bajot
Kleidung des XVI. und XVII. Jahrhunderts wohl fühlten, nur so in ihre
räumliche Umgebung stimmten. Man empfand das Bedürfnis, einer drohenden
Ernüchterung, die bunten Schöpfungen einer bewegten, farbenfreudigen
Kunstepoche der Vergangenheit gegenüber zu stellen und wurde, indem man
sie kopierte, theatralisch.
Man verzögerte nur die Anpassung an die geänderten Produktionsver-
hältnisse, neuen Zeitbedürfnisse und Zeitforderungen, indem man sich die
Wiederbelebung einer für immer entschwundenen Epoche vortäuschte.
Es ist eine merkwürdige Erscheinung, welche sich nach dem Ende der
mittelalterlichen Epoche mehrmals im Wandel der Jahrhunderte wiederholt
hat, daß sich große geistige Umwälzungen, die Befreiung von unerträglich
gewordenen Einrichtungen des Staates und der Gesellschaft, unter abwech-
selnder Berufung auf eine der beiden selbstschöpferischen Kunstepochen: auf
die antike Welt der gräko-italischen Völker oder auf die mittelalterliche
der germanischen vollzog. Die Kunstformen derVergangenheit machten dann
stets einen merkwürdigen Erneuerungs- und Assimilierungsprozeß durch.
Einen großen Einfluß auf die spezielle Richtung solcher Anlehnungen
spielte auch immer das Zusammentreffen mit Entdeckungen auf dem Gebiet
der Kunst durch Ausgrabungen und kriegerische wie wissenschaftliche Ex-
peditionen.
Und ganz wesentlich für die Bedeutung der Leistungen ist das Maß von
Selbständigkeit, das sich in dieser Aufnahme fremder Elemente äußert. Die
Renaissancebewegung nördlich der Alpen kam nie ganz über ein Kompromiß
zwischen mittelalterlicher und antiker Kunst hinaus und ihre feinsten und
edelsten Schöpfungen entstammen einer intimen bürgerlichen Kultur, wenn
auch der reiche und vornehme Bürger den höfischen Kreisen sehr nahe
kommt.