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ließ. Der Verfasser stützt sich hiebei auf Darstellungen auf ägyptischen Bau-
denkmälern, auf Stellen im alten Testament, auf Ausführungen der alten
Klassiker, auf einen Bericht des französischen Konsularagenten Fresnel und
schließlich auf Erzählungen, die er selbst von einem Bettelmönch und von
einem Sklavenhändler in Afrika vernommen. Wie wenig es der Autor mit
seiner Arbeit ernst genommen hat, geht daraus hervor, daß er am Schlusse
seines Buches ein Horn im Besitz der vormaligen Ambraser-Sammlung dem
Einhorn zulegt, das er aber zu einer genaueren Untersuchung nicht in die
Hand nahm, obwohl er die Sammlung persönlich besuchte. Seine Aus-
führungen schließt er mit den Worten: „Wenn der Inhalt dieses Buches bei
dem Leser einige Zweifel über die Existenz des Einhorns vernichtet, wird
sich der Verfasser befriedigt fühlen und darf sich wohl der Hoffnung hingeben,
daß uns weitere Forschungen nicht bloß Berichte, sondern das Tier selbst
zum Vorschein bringen werden."
Die in den Grotten von Beni-Hassan am Nil und im Höhlentempel von
Kalabsche in Nubien dargestellten Tiere sind unschwer als Antilopen zu
erkennen. Es ist der Orix, die stärkste Gattung der afrikanischen Spieß-
böcke, die auch in den Gemächern der Cheops-Pyramide wiederholt abge-
bildet sind. Als der eigentliche Orix der Alten erscheint die Beisa, ein
kräftiger und schwerer, im Gegensatz zu den übrigen Antilopen äußerst
mutiger Spießbock, der keinen Gegner scheut und gereizt, sogar Löwen und
Leoparden angeht. Konrad v. Gesner beschreibt ihn folgendermaßen: „Er
wohnet in den Wäldern, ist anderen wilden Thieren gar auffsätzig und gantz
weiß, außgenommen das Maul und Wangen, hat ein" starckes, fettes und dickes
Genick, mit hohen auffrechten, schwartzen und gantz scharpffen Hörnern
gezieret, die also harte und veste sind, daß sie Eysen und andere Metall,
auch die Steine übertreffen. Seine Natur und Art ist ganz wild und grausamb,
dann er entsetzt sich nicht für dem Bellen der Hunde, achtet auch nicht das
Kreischen des Ebers, noch das Blöcken des Stieres, noch das Brüllen des
Löwens, auch nicht die traurige Stimm des Panterthiers, läst sich auch nicht
durch Menschengewalt und Stärcke bezwingen, sondern es bringt zum öfftern
auch den allerstärcksten Jäger umb sein Leben. ]a sie selbst bringen biß-
weilen einander umb ihr Leben. Es schrieben etliche, daß solche Thiere
allein mit einem Horn sollen versehen seyn, so sollen auch an etlichen Orten
einhörnige wilde Geyssen gefunden werden."
Diese im XVI.]ahrhundert verfaßte Schilderung des Spießbocks stimmt
mit den Eigenschaften, welche das Mittelalter dem Einhorn zulegte, ziemlich
überein. Der majestätische Eindruck, den die Beisa auf den Beschauer
macht, erklärt zur Genüge die Bewunderung der Alten, die Verehrung im
Mittelalter, das Stärke und Kühnheit allen anderen Tugenden an die Spitze
stellte. Die wenigen, die das Tier in seiner Heimat gesehen, schilderten es
mit Übertreibung und so entstand aus dem fahlgrau oder gelblichweiß
farbigen Spießbock mit zwei geraden, von der Wurzel an geringelten Hörnern
das weiße Einhorn der Sage. Die älteste christliche Zeit hat dabei am meisten