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am deutlichsten erscheint er uns auf dem Triumphbogen der Kirche Santa
Maria Maggiore. Kehren wir zur Plakette zurück. Im Hintergrund neben
dem hohen Turm sieht Gott Vater über die Gartenmauer und erhebt die
Hände zum Segen. Ein Brunnen und ein Altar mit hoher Stange füllen das
Mittelfeld aus. Alle diese von leeren Bandrollen begleiteten Embleme ent-
sprechen der Verkündigung nicht nach der Auslegung des Evangeliums
Lukas in seiner schlichten Form, sondern den Erzählungen der Gnostiker
und den Darstel-
lungen in den I-Io-
milien des Mön-
ches Jakob. Was
uns aber bei bei-
den fehlt und ge-
rade diese Auf-
fassung so rätsel-
haft macht, ist das
mit der Jungfrau
in Verbindung ge-
brachte Einhorn.
Es flüchtet durch
die Gartentür in
den Schoß Ma-
riens,verfolgtvom
Erzengel Gabriel,
der den göttlichen
Gruß in das Horn
stößt, den Wan-
derstab in der
Rechten trägt und
zwei Koppeln
Hunde an der
Leine führt. Die
Komposition ist
nicht dem Geiste des Schöpfers dieser Plakette entsprungen, wie die un-
beschrieben gebliebenen Bandrollen, der Wasserkessel an Stelle des Korbes
mit der Wolle, das fehlende Türbeschläge und andere Details beweisen. Wir
werden im weiteren Verlauf der Ausführungen die Vorlagen kennen lernen
- vorher wollen wir aber über die Stellung des Einhorns, über seine sagen-
hafte Existenz und seine fabelhaften Beziehungen zur Jungfräulichkeit einige
Worte sagen, um den der mystischen Einhornjagd zu Grunde liegenden Sinn
erläutern zu können.
Das Tier gehört der Sage an. Trotzdem haben sich für seine Existenz
Gelehrte eingesetzt K zuletzt Dr. ]ohn Wilhelm von Müller, Direktor des
zoologischen Gartens in Brüssel, der 1853 ein kleines Buch hierüber ausgeben
Bronzeplakene der Sammlung Figdor. Oberrheiniscb, XV. Jahrhundert, Ausgang
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