WIENER WADERLMACHER
DIE BEGRÜNDUNG DER WIENER FÄCHERINDUSTRIE IM 18. JAHRHUNDERT
Von HUBERT KAU'l
Der Fächer gehört zu den ältesten Erzeugnissen der Menschheit
und entstand zur Zeit der ersten primitiven Werkzeuge aus dem
gleichen Bedürfnis die Kraft der Hände zu vergrössern. Man
nahm zunächst ein Blatt, um sich Abkühlung zu verschaffen,
Fliegen zu verschcuchcn oder Feuer anzufachen. Später fügte
man mehrere Blätter zusammen, verwendete aber auch Federn,
Leder und anderes Material. Vor allem tritt auf dieser frühen
Kulturstufe bei den Kulturvölkcrn der geflochtene Fächer auf.
Aus einem Bedarfsgegenstand entwickelte sich schon sehr früh
der Fächer zu einem sakralen Kultobjckt, vielleicht von der Be-
nutzung des Fächcrs beim Feucranfachen ausgehend, und spielte
bei allen religiösen Handlungen eine bedeutende Rolle. Selbst
die abendländische Kirche übernahm diese Funktion, denn seit
dem Mittelalter ist die Verwendung von Fächern aus Pfauen-
federn bei feierlichen Aufzügen des Papstes bezeugt.
Gleichzeitig fand er auch in die höfische Zeremonie Eingang, vor
allem der orientalischen Herrscher. Unabhängig davon ist cr
in der gleichen Funktion auch bei den alten Kulturvölkern Mit-
tel- und Südamerikas nachgewiesen.
Die dritte und letzte Stufe zeigt uns den Fächer als Instrument
der weiblichen Kokettcrie und als unentbehrlichen modischen
Gegenstand bei allen Kulturvülkern. Vielfältig und launisch wie
die Mode sind die Formen des Fächcrs, die einander ablösen, um
mit neucn Spielarten immer wieder zu kommen. Als solche
Hauptformen waren bis zur Renaissance in Verwendung: dcr
Blatt-, Fahnem, Rad- und Federnfächer. Das Material, das aus
Seide, Leinen, Leder, Pergament usw. bestand, wurde mit El-
fenbein, Perlmuttcr. Schildpatt und anderem in reicher künstlea
rischer Ausführung verarbeitet.
Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts war daher der Fächer ein
Luxusgegcnstand, den sich nur die Bürgcrsfrau in gehobener
Stellung leisten konnte. Erst als im Laufe dieses jahrhunderts
eine neue Form von Asien übernommen wurde, nämlich der
Faltfacher, für den hauptsächlich Papier mit dünnen Holzstäb-
chen verwendet wurde, änderte sich dies schlagartig. Er drang
sehr bald, durch die Billigkeit des Materials und der Herstel-
lung bedingt, in die bürgerlichen Kreise ein. Zunächst bemalt,
erreichte er im 18. Jahrhundert mit dcr Heranziehung des Kup-
ferstiches, der größtenteils koloriert wurde, seine höchste Blüte.
Ein Zeugnis für die Verbreitung und Popularität des Fächers in
allen Bevölkerungskreiscn liegt in einem vermutlich in Wien
1740 herausgekommenen Flugblatt vor: „Vier schöne neue Welt-
liche Lieder" (Sammlung Prof. K. M. Klier, dem ich diesen Hin-
weis freundlichst verdanke). Hier heißt es in Strophe 5 des Lie-
des über die Modeausschreitungcn unterster Schichten:
„Eine, die ist her kommen von der Bauerey,
den Kuh-Stall bedicnet, hat Schwein gefuttert darbey,
jetzt dient sie in Städten, betracht sie nur gleich,
hat Haar schon einbuttert (eingepudert) , ein Wäderl
(Fächer) dabey."
Frankreich, das auf dem Gebiete der Mode führende Land, hatte
sich auch dieses kunstgewerblichen Zweiges bemächtigt und
nahm lange Zeit eine Vorrangstellung ein. Es beherrschte mit
seinen Erzeugnissen den europäischen Markt. „Die Wäderln seyn
bey jetziger Zeit in einen sonderbahren Wehrt, fordrist wann sie
aus Francreich kommen, schön gearbeitet und gemahlen seyn,
darauf werden gcmeiniglich verliebte Schäffcrcyen, Cupido, Ve-
nus-Bilder, Wald- und Wasser-Nymphen, wie auch andere Sa-
chen abgebildet, damit sich nicht allein der Leib durch den er-
regten Wind erquicken, sondern zugleich das Aug durch die
edle Mahlerey belustigen könne" schreibt Johann Valentin N e i -
ner, der Nachfolger und Nachahmer Abraham a. St. Claras, in
der neunzehnten Auslage, „Ein Windlächcrl oder Wäderl", wie
er die Kapitel seines Werkes nennt (Neu ausgelegter Curioser
Tändl-Marekl der jetzigen Welt in allerhand Waaren und Wahr-
heiten vorgestellet... Aus der Tändler-Butten lustiger Einfäll
heraus geklaubt . . . Wien und Brünn 1734, S. 207).
Auch Österreich wies auf diesem Gebiete keine selbstständige
Produktion auf, da die technischen Voraussetzungen hiefür fehl-
ten. Es hatte keine geübten und geschulten Kupferstecher und
war daher gezwungen, auf allen Gebieten, auf denen der Kup-
ferstich angewendet wurde, ob es sich um ein Heiligenbild, eine
G726 lkmvv}! .
liim: Wicncrin um 1700. - Kuplcrstich von Christoph Weigcl
(1 54-1725) nach CnSpar Luykcn (16724708). m. 32 aus
einer Folge von 100 Blau in dem Werke von Abraham
a St. Claru: „Neu-eröffnen: XVcll-Gnllcrin . . . Nürnberg 1703".
,. s angcnchme uucnziixxmer hcdicnct sich gcmciniglich zur
hitzigen Sommcrvci! dercn Wlidcrln oder Windlüchcrln, umh
mit wlben ihnen clncn Lulfl zu machen, und gleichsam sich mit
nnnchmlichcn Zvphvr-Winden zu erfrischen und abzukühlen"
(V. Nciner, Neu nusgclegu-r Curioser Tändl-Murckr... Wien
und Brünn 1734, S. 207).
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