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jene Zeiten, die ihre Monumente das Ernste und Schlichte, das Allgemeine und Unper-
sönliche, das Düstere und Tröstliche des unvermeidlichen Menschenschicksals aus-
sprechen lassen. Immer wieder zeigt uns die laufende Kunstliteratur die Grabmalkunst
der Wende des XVIII. zum XIX. Jahrhundert, die zwischen der individuellen Repräsen-
tationssucht des vorangegangenen Barock und der industriellen Betriebsamkeit der Folge-
zeit die Mitte hält; die Zeit, in der all das Beste des Deutschtums entstand, um das wir
kämpfen, ist uns auch in der Art vorbildlich, wie sie ihre Toten ehrte.
Das knappe geschmackvolle Buch, dem I-Ians Mackowsky, der treffliche Kenner der
Berliner Kunst, eine gedankenreiche Einleitung widmet, faßt die allgemeine Zeitstimmung
in einer lokalen Variante; das Beste, was sich von der kleinbürgerlichen Friedhofskunst
Alt-Berlins in Fugen und vergessenen Winkeln der darüber wuchtenden Großstadt erhalten
hat, ist von Wolfgang Schlitz in guten photographischen Aufnahmen und sauberen
Vermessungen zusammengestellt worden. Wie anderwärts ist auch hier diese Kunst
größtenteils namenlos} sie ist klassizistisch-biedermeierisch, an der Formenwelt antiker
Kunst genährt, dem geistigen Bedürfnis bürgerlicher Gegenwart entsprossen; haushälterisch
mit wenigen Typen, die sie bescheiden abwandelt, ihr Auslangen fmdend, sparsam im
Ausnützen des anspruchslosen Materials. Weder individueller Witz noch persönliche
Prunksucht stört die Ruhe dieser Gräber, die sich einst zu einheitlichen Friedhöfen
aneinanderschlossen, heute nur mehr als Einzeltrümmer und Museumsstücke fortleben. Es
liegt nahe, die Berliner Note, die in diesem Buch festgehalten wird, mit den entsprechen-
den Erscheinungen an anderen Orten, etwa mit dem ähnlichen Reichtum Alt-Wiens zu
vergleichen, auf den wohl gelegentlich schon hingewiesen worden ist, der aber als Ganzes
noch systematischer Erschließung harrt. Bei einer solchen Vergleichung drängt sich
zunächst der größere Reichtum der Wiener Friedhofskunst auf; die Anzahl der gebräuch-
lichen Typen ist größer, ihre Variationen sind leichter und geschmeidiger, die kräftigere
Nahrung im vorangegangenen stolzeren Barock macht sich bemerkbar. Weiter sind -
dem Wesensunterschied der beiden deutschen I-Iauptstädte entsprechend - die Wiener
Formen zierlicher und gefälliger, die Berliner ernster und schwerer; die Verhältnisse
sind hier häufig nicht glücklich, das Postament, das die Aschenurne trägt, zu schwer,
noch häufiger, umgekehrt, die dickbauchige Vase für den tragenden Sockel zu wuchtig.
Ein dritter wesentlicher Unterschied hilft die beiden ersten erklären: minder als in
Alt-Wien ist in Alt-Berlin diese Friedhofskunst zu allgemeinem Volksgut zusammen-
geschmolzen. Die ausgezeichneten Bildhauer, deren sich Berlin in dieser Zeit rühmen
darf, gehen mit ihren Schöpfungen nicht in den Durchschnitt ein; was Schinkel und
Tieck ersinnen, bleibt auf einer Stufe für sich, die Grabmäler, die von Emil Wolff (Abb. 38),
Ludwig Wichmann (Abb. 54) oder Hermann Ernst Freund (Abb. 54) entworfen worden
sind, fallen auf den ersten Blick aus der Volkskunst der übrigen heraus, in die -- charak-
teristisch genug - von den wirklichen Meistern nur Schadow seinen Beitrag voll aus-
geschüttet hat. In Wien treten die Einzelkünstler viel mehr zurück; Zauner, noch ganz
barocker Nachfahre, hat sich an der Ausbildung des Friedhofsgrabmals nicht beteiligt, die
Späteren - Kießling, Kaeßmann, Klieber, Schaller - verwachsen mit den namenlosen
Trägern des Handwerks zu einer unlöslichen Kette. Mannigfache Gründe lähmten im vor-
märzlichen Wien der großen Kunst den Schwung, aber kamen der handwerklichen Ubung
zugute; viel erstickte Künstlerkraft liegt in der Friedhofskunst Alt-Wiens eingebettet. In
Berlin blieb diese hingegen eine niedere Sphäre, in die die großen Meister nur ab und zu
adelnd und klärend eingreifen. So kommt die gesunde und harmonische bürgerliche Kultur
jener Epoche da und dort in verschiedener, aber gleich gültiger Weise wohltuend und
beispielgebend zum Ausdruck. HEIIS Tieflß
RAG. EINE NEUE UNTERNEHMUNG DES KUNSTVEREINS
BÖHMEN. In dem Wunsche, seinen Satzungen entsprechend für Vertiefung
des Kunstverständnisses und gleichzeitig für die Förderung der heimischen Kunsttätigkeit
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