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wir darin eine kapitalistische Orientierung in der Beschaffung der Arbeits-
mittel und der Fühnmg der Verarbeitung selbst sowie die Ausbildung der
Verlagsarbeit, welche den Erscheinungen des XVII. und XVIII. Jahrhunderts
weit vorauseilt.
Dem stets sich emeuemden, auf Monopolstellung ausgehenden Zünftler-
tum treten wie in früherer Zeit immer wieder landesherrliche Bestrebungen
entgegen, yvelche auf die Durchsetzung des Handwerks mit neuen Kräften
abzielen. Man sucht mit Erfolg das Aufsteigen tüchtiger Gesellen in die
Reihen der Meister zu sichern, der Zuwanderung werden stets sich wieder-
holende Erleichterungen und Anreize geboten, die staatspolitische Führung
der Produktion zeigt sich wie ehedem ihren Aufgaben gewachsen. Wie
sehr zum Beispiel auf dem Gebiete der Gold- und Silberschmiedekunst
Wien als Kunst- und Lehrstätte auch in den hierin von altersher hoch-
entvvickelten deutschen Gebieten Achtung genießt, beweisen die wiederholten
Zuwanderungen selbst von Augsburger und Nürnberger Gehilfen und
Lehrlingen.
Zu Beginn des XVII. Jahrhunderts dürfte sich die Zahl der organisierten
kunsthandwerklichen Werkstätten Wiens auf 250 bis 300 belaufen haben.
Dazu kamen viele außerhalb der Zünfte Stehende, welche für die
technisch-künstlerische Entwicklung des Handwerks von größter Bedeutung
wurden; das alte Hofhandwerk erfährt neue Ausbildung und zu diesen
Handwerkern treten Künstler, welche für bestimmte Zweige der Arbeit mit
kaiserlichen Freibriefen ausgestattet waren. So gab es im Jahre 1572 mehr
als 7o solche Freimeister, unter Rudolf und Matthias über 400, unter
Leopold I. an 500.
Türkennot und andere Schicksalsschläge vertiefen die Erkenntnis, daß
die Hebung der Edelarbeit eine Lebens- und Zukunftsfrage des Staates sei;
was bis dahin mehr instinktmäßig erkannt und geübt wurde, wird nunmehr
in eine Art wissenschaftlichen wirtschaftspolitischen Systems gebracht. Die
Kameralisten Becher, Hörnigk und Schröder begründen und vertreten die
Doktrinen des Merkantilismus, welcher in immer steigendem Maße die
Wirtschaft und Politik Österreichs beherrscht und in so außerordentlichem
Maße zur Ausbreitung, Intensivierung und Organisierung der kunsthand-
werklichen Arbeit beigetragen hat. Das Problem der Geldwirtschaft drängt
_ sich immer mehr in den Vordergrund. Man will das Abströmen der eigenen
Geldmittel hindern und fremdes Geld ins Land bringen. Dies ist nur durch
Unterbindung der Einfuhr von Waren und Hebung der Aktivität der Handels-
bilanz möglich. So muß man große Arbeitsüberschüsse über den eigenen
Bedarf erzielen, die heimische Arbeit verdichten, differenzieren, ihren inneren
und materiellen Wert steigern. Der Kleinbetrieb vermag diese Leistung nicht
zu vollbringen, man muß zum Großbetrieb übergehen, das Verlagssystem
entwickeln, die Werkstätten zu Manufakturen erweitern; die Staatsgewalt
aber, in Osterreich, wie wir sahen, seit dem frühen Mittelalter auf die
Regelung der gewerblichen Arbeit bedacht, muß ihren Einfluß auf die