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In Bezug auf die architektonische Behandlung des Aeusseru darf kein
Anspruch auf einen Monumentalbau erhoben werden. Das Bauwerk ist entsprechend dem
Zwecke einer Bildungsanstalt in einfachen, dem Bedürfnisse entsprechender Weise behan-
delt. Es charakterisirt sich durch grosse Achsen, durch hohe Stockwerke, durch breite
Massen und andallend grosse Lichtödnungen. Dadurch unterscheidet es sich vertheilhsft von
anderen gewöhnlichen industriellen Zwecken gewidmeten Bediirfnissbanten und es ist jedenfalls
durch den Zweck, „eine der Kunst und Industrie gewidmete Städte zu errichten", dem Ar-
chitekten die Aufgabe gestellt, sowohl durch schöne Verhältnisse, durch eine correcte, wenn
auch einfache Gliederung und durch rationelle Anwendung der technischen Mittel dem
Bauwerke jenen höheren künstlerischen Rang zu sichern, welchen dieses Gebäude bei aller
Schlichtheit der Erscheinung dennoch erbeiscbt.
Eine eigenthiimliche nicht gewöhnliche Aufgabe besteht darin, dass das Erdgeschoss
zugleich Hnnptgeschoss ist. Ueberdies ist mit Rücksicht auf die Kosten ein energi-
sches Emporheben dieses Erdgeschosses durch einen mächtigen Unterbau nicht wohl zu-
lässig. Die grossen Lichtiiifnungen, welche die Ausstellungslocalitäten bedingen, sowie die
hedeutendere Höhe charskterisiren demnach von selbst das Erdgeschoss als das wichtigere.
Das mehr untergeordnete erste Stockwerk hat Fenster von derselben Breite wie jene des
Erdgeschosses.
Im zweiten Stockwerke des Mittelbanes erscheint wieder das mit der dünnen Säule ge-
theilte Fenster, welches seine Bahmung durch Lisenen und durch das Hsuptgesimse er-
hält, -- während die Fenster des ersten Stoclres durchwegs eine selbstständige und ziem-
lich kriihige Rabmung erhalten, wodurch das an und für sich minder dominirende erste
Stockwerk dennoch im Vergleiche zu der einfachen, beinahe mageren Rahmung der Fen-
ster des Erdgeschosses wieder an Bedeutung gewinnt.
Uebrigens sind die Theilungsgesimse der Geschosse, sowie die architektonischen
Fensterrahmungen im Ganzen höchst einfach, ja mit Absicht ökonomisch angewendet, da.
sie aus Stein ausgeiiihrt sind, während die glatte Wanddäche des Ziegelmauerwerkes das
eigentliche Constructionsmateriale zur Erscheinung bringt.
Das Materials in seiner natürlichen Gestalt ist immer ein bedeutsamer Schmuck,
der seine Wirkung nicht verfehlt, wenn er rationell angewendet ist. Der Stein darf aber
nicht nllzuspürlich angewendet sein, damit ein wohltbuender Wechsel von Ziegel und
Steindäche erfolge. lst der Stein aber, wie hier, blos an constructiv wichtigen Stellen
angewendet, so ist er gewöhnlich zu untergeordnet gegen die grosseu Ziegeltiächen.
Ein vollkommenes und verhältnissmässig billiges Auskunftsmittel diirite in dem ge-
gebenen Falle durch die Anwendung der Sgraflitomalereien gefunden sein, wie sie rnit so
viel Geschick und namentlich in Verbindung mit Ziegelhauten im 15. und 16. Jahrhun-
derte in Italien häufig zur Anwendung gekommen sind. Diese Sgrafüto-Verziernngen, be-
sonders in Friesfonn, fügen sich als geschickte Vermittlung zwischen Ziegeldliche und
Steingliederung ein, sie zählen mehr zu den Steingliedern durch die lichte Farbe der Ver-
zierungen und gewinnen durch gute Zeichnung sogar ein gewisses plastisches Ansehen.
Der dunkle Grund, der sich nicht gerade auf das gewöhnliche Aschgrsu der italienischen
Sgrafiitos beschränken muss, sondern dessen Farbenbestimmung in der Gewalt des Archi-
tekten ist, bildet nber wieder einen wirksamen Gegensatz zu dem Roth des Ziegelmaner-
werkes und auf diese Weise ist für die Facade nicht nur eine etfectvolle Zeichnung durch
die kräftig hervorgehobenen Friese bei ganz dürftiger plastischer Gliederung, sondern auch
eine gefällige Farbenwirkung zu erreichen.
Diese letztere könnte noch wesentlich erhöht werden und dem Aeusseren überhaupt
ein bedeutender Reiz erwachsen durch Unterbrechung dieser Sgraffitofriese mit Fayence-
Medaillons, mit farbigen Schrifttafeln und dergleichen brillante Decorstionsmotive, mit
welchen die das Gebäude interessant illnstrirende Widmung für Porträts und für Namens-
schriften berühmter Künstler und Kunsthandwcrker verbunden sein könnte.
Vorlesungen im Museum.
Professor (LLanger über die Proportionen des menschlichen Körpers.
(Zwei Venrige, gehnltan nrn 2. und s. Jixmer 1858.)
Die einleibunden Worte galten den Ansichten über Zweck und Aufgabe der Unter-
suchung. Darin bezeichnet der Vortragende zwei Richtungen als diejenigen, welche man
bisher eingehalten hat.
Die meisten Forscher hatten eine Idealform vor Augen, in welcher zwar nur die
constnnten und wesentlichen Eigenschaften der Figur, diese aber alle zusammengefasst, er-
scheinen sollten; sie suchten daher aus der Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung