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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XII (1897 / 1)

wenigstens im Norden sogar mit der Gothik vertragen. Der Barock- 
stil dagegen duldet keinen anderen Stil neben sich; wo er bauen will, 
reiBt er alles vorhandene Alte nieder und baut auf dem rasirten Platze 
ein einheitliches Ganzes nach vollständig neuem Grundplah. So erklärt 
sich, dass unsere uralten großen Stifter, die in der Barockzeit neugebaut 
wurden, häufig so rein gar nichts Architektonisches aus ihrer mittelalter- 
lichen Blüthe erhalten haben, wie es z. B. bei Stift Melk oder Krems- 
münster der Fall ist. 
Wenn aber der frühe und der späte Barockstil nur in der Regel- 
mäßigkeit des Grundplanes zusammengehen und in vielen anderen grund- 
wichtigen Punkten von einander abweichen, so müssen wir fragen, ob 
nicht auch das Verhältniss zur Decoration da und dort ein verschiedenes 
gewesen ist. 
Die Sprache, die der strenge Barockstil zu sprechen sich bemüht, 
ist diejenige der concentrirten, aber verhaltenen Kraft. Nehmen wir eines 
der bekanntesten Denkmäler dieser Art: die Fassade der Peterskirche in 
Rom. An dieser Fassade steht eine Flucht riesenhafter Halbsäulen, über 
diesen lagert ein gewaltiges, drohend ausladendes Gebälke; dadurch ent- 
steht unter der intensiven Beleuchtung der südlichen Sonne einüberaus 
mächtiger Schattenschlag, der eine höchst wirksame Gliederung der cyklo- 
pischen Massen herbeiführt und durch den wechselnden Contrast von 
Licht und Schatten die eindringlichsten malerischen Reize hervorbringt. 
Aber das Detail, das eigentlich Decorative, erscheint darüber vernach- 
lässigt, vereinfacht, ja absichtlich zurückgestellt, denn es würde den Ein- 
druck übermenschlicher Wucht und Größe nur abschwächen, beein- 
trächtigen. Aehnliches begegnet uns, wenn wir das Innere derselben 
Peterskirche betreten. Neben den grandiosen Formen ist es da hauptsächlich 
der blendende Werth des Rohmaterials, womit die Sinne des Beschauers 
betäubt werden: der Werth der Marmor-Incrustation und der schweren 
Vergoldung. Die reine Kunstform findet im decorativen Detail nur überaus 
kärglichen Raum zur Entfaltung. Und doch wurde die Ausschmlickung 
des Innern der Peterskirche, wenigstens im Langhause, das beim Eintritt 
den Eindruck zunächst beherrscht, bereits in vorgeschritteneren Decennien 
des 17. Jahrhunderts durchgeführt, da die allerstrengste Auffassung be- 
reits eine beträchtliche Lockerung erfahren hatte. 
Das eigentliche Decorative hatte somit seine mageren Jahre in der 
Zeit des strengen Barockstils. Das hat sich in Rom auch im weiteren 
Verlaufe des 17. Jahrhunderts nicht wesentlich geändert. Es ist zwar 
eine naturgemäße Revolution gegen den langen Druck eingetreten; sie 
hat aber nur die großen Formen in Aufruhr gebracht; Bernini hat mit 
seinem Tabernakel von St. Peter, Borromini mit seinen berüchtigten 
wellenfürmigen Fassaden die Herrschaft der Geraden gebrochen und die- 
jenige der Curve an ihre Stelle gesetzt: aber die Detailformen behalten 
selbst dann noch im Allgemeinen ihre structive Grundbildung bei und
	        
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