Schwerer als bei der Architektur scheint es bei der classiachen Plastik glaublich,
dass sie bunt gewesen sei. Dass sie es aber war, was in nicht mehr bezweifelt werden
kann, verdankt sie ebenfalls dem Einfluss des Technischen. Die Stufenfolge ist dabei
folgende: als man begann statt des Kalksteines beim Tempelbau Marmor zu verwenden,
da begnügte man sich zunlchst, nur hervorragende Bautheile, etwa Säulen und Giebel,
aus diesem kostbaren Stoß zu fertigen. War nun, wie es die Nothwendigkeit forderte,
der Kalkstein der Wände getüncht, gefarbt, so konnten die Msrmortheile nicht in ihrer
blendenden Weiße verbleiben; und wurden sie bunt, so durften wiederum die Giebel-
ßguren nicht weiß bleiben - auch sie mussten sich dem allgemeinen, von der Natur
gleicherweise wie vom Kunstgefühl ditirten Farbengesetze unterwerfen.
Aehnliche, nicht minder folgenreiche Beeinliussung des Kunstcharakters lasst sich,
wie nicht anders zu erwarten, ebenso in der Metallbearbeitung, in der Gravirung, dem
Treiben, dem Guss erkennen. Dabei ist es lehrreich zu sehen, dass die Kunstentwiek-
lung in ihrer aufsteigenden Linie, bei den Hellenen, weit entfernt von einem realistischen
Featkleben am Stoß und an technischen Hilfrnitteln, doch jedes Material in seinen ihrn
eigenthürnlichen Eigenschaften benutzte und nach diesen zur Geltung brachte, während
mit dem Verfall der Künste gleichbedeutend die übertriebene Vorliebe ist für prunk-
volle, theuere Stoffe einerseits, für ihre Verkennung in technischer Hinsicht andererseits.
Es gab beim Sinken des Geschmackes Künstler, welche Portratküpfe aus Alabaster
anfertigten oder jenes Bauwerk für das monumentalste hielten, dessen Material am
schwersten zu bearbeiten war.
Der Helleae stand den Anfangen der Kunst selbst in der hochsten Blüthezeit
noch zu nahe, als dass er den Ursprung der Künste, ihr Herauswachsen aus dem Hand-
werk je hatte ganz vergessen können. So wenig er mit Construction und technischer
Fertigkeit zu prahlen liebte wie das Mittelalter, so gut verstand er sich doch darauf.
Er muss uns auch darin das Vorbild bleiben. Seinen Spuren folgend, dürfen wir ihn
nicht blos Äußerlich eepiren, sondern müssen wie er die Bedürfnisse, das Erdgehorene
der Kunstschbpfungen scharf ins Auge fassen, den ewig gleichbleibenden Gesetzen des
Schönen die veränderlichen Bedürfnisse und Anforderungen zu Grunde legen, in den
großen wie in den kleinen Künsten das Technische, das Constructive, Stotfliche ver-
stehen und beherrschen, es nicht negiren und nicht regieren lassen, sondern veredeln
lernen, eingedenk des SernpeHschen Wortes: nDie Kunst kennt nur einen Herrn: das
Bedürfnissu
Litteratur-Bericht.
Une necropole royale a Sidon. Fouilles de Hatndy Bey, par O. Hamdy
Bey et Theodore Reinach. Paris, Ernest Leroux, 1892. gr. Fol.
Lief. 1 u. z, ä M. 60.
Die vorliegende Publication ist fnr die Wissenschaft der antiken Kunst ein Ereig-
niss, das nachhaltige Wirkung ausüben wird. lm Jahre 1887 ging durch die Tagesblätter
die Nachricht, bei Salda, dem alten Sidon, der Hauptstadt Phnnikiens, sei eine Necropole
mit einer großen Anzahl antiker Sarkophage, unter welchen sich auch derienige des
großen Alexander befinde, aufgedeckt worden. Authentisches und Ausführliches über
diesen Fund erfuhr man erst durch einen Aufsatz Th. Reinach's in der nGazelte des
beaux-artsn des verflossenen Jahres. dem die erste Lieferung der Publication schnell auf
dem Fuße folgte. Es wurden im Ganzen 2a Sarkophage gefunden, 17 in einem gemein-
samen Grabe, und nach Constantinopel gebracht, wo sie nun den Hauptanziehungspunkt
des kaiserlich ottomanischen Museums bilden. Vier von ihnen sind figural verziert und
von atttschen Künstlern, aber wie sich aus bestimmten lndicien ergibt, direct fnr die
Ausfuhr nach dem barbarischen Osten verfertigt worden. lhre Bedeutung liegt darin, dass
sie alter sind als die bisher bekannten griechischen Sarkophage und dieselben, auch den
Wiener Amazonensarkophug nicht ausgeschlossen, an Kunstwerth weit hinter sich lassen.
Der älteste, welcher die aus Lykien bekannte Form hat, zeigt den Stil der Parthenon-
sculpturen in voller Reinheit, wenn auch nicht auf der gleichen Hohe. Von seinen Reliefs
sind die Centautenklmpfe der Nebenseiten indifferent: Entlehnungen aus dem Repertoire
der damaligen Bildnerei, während in den Jagdscenen der Langsseiten der Grundgedanke
der alteren griechischen Grabplastik, das Streben nach einer Chnrakterisirung des Todten
innerhalb gewissen Typen, wenigstens leise auklingt. Einen neuen Weg sehen wir die
Sarkophagsculptur einschlagen an dem rasch berühmt gewordenen Sarkophag udes pleu-
reusesn, dessen Künstler in der Generation zwischen Phidias und Praxiteles zu suchen
ist. Hier ist jede Beziehung zu einem bestimmten Todten aufgegeben und durch - sollen