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Internationale Sammler-Zeitung.
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Kaisers uns noch täglich teurer wird, diese Darstellung
zu erneuertem Abdrucke zu bringen, weil daraus klai
ersehen werden kann, wie groß damals die Gefahi für
dasselbe war. Sic lautete:
»Der Kaiser hatte im Winter die Gepflogenheit,
nach sechsstündiger Arbeit von 12 bis 2 Uhr in Beglei
tung des diensttuenden Flügeladjutanten . einen
Spaziergang um die Bastei der inneren Stadt Wien zu
machen. Am 18. Februar 1853 war er vom Obersten
Maximilian Grafen O’Do n e 11 begleitet/- bereits ober
halb des Kärntnertores angelangt, als dieser wegen
einer Pfütze etwas abseits Sr. Majestät trat. In dem
selben Augenblicke sah Graf O'Donell einen Mann mit
hocherhobenem Arme, in der Hand ein langes Messer,
unter einem widerlichen Schrei auf den Kaiser stürzen.
Graf O'Donell faßte diesen Mann sofort mit beiden
Händen bei den Schultern /derselbe hatte aber schon die
Möglichkeit gehabt, einen Stoß auf das Hinterhaupt
Sr. Majestät zu führen, der, von da abprallend, die
Schnalle der Halsbinde traf und eine Wunde am Halse
verursachte. Zum Glück war durch O'Donells Erfassen
des Mörders der Stoß unsicher und daher nicht sehr ge
fährlich geworden. O'Donell warf im Ringen den
Mörder zu Boden, dem das Messer dabei entfiel,
stürzte aber mit ihm, und sic hielten sich gegenseitig
fest. Aus dieser Lage befreite der inzwischen herbei
geeilte Wiener Bürger Ettenreich den Grafen
O’Donell, indem er den Mörder bei den langen Haaren
ergriff und seinen Kopf mehrmals auf den Boden auf
schlug.
Graf O'Donell, dadurch von der Umklammerung des
Mörders ledig, sprang auf, zog seinen scharfgeschliffe
nen Säbel, den aber der Mörder mit beiden Händen er
griff und sich daran verwundete. Se. Majestät, der
während dieser kurzen, aber schrecklichen Szene ganz
ruhig geblieben war, rief nun seinem Adjutanten wieder
holt zu: »O’Donell, versorgen Sie den
Säbel!« Diesen Befehl ausführend, trat derselbe nun
wieder an die Seite des Kaisers, jetzt erst bemerkend,
daß Se. Majestät verwundet sei, der allein nach Hause
gehen wollte und die Verhaftung des Mörders ihm über
trug. Graf O'Donell bat, Se. Majestät begleiten zu
dürfen, da herbeigeeilte Leute ja ohnedies schon nach
einer Patrouille der Wache des Kärntnertores gerufen
hatten.** Der Kaiser, diese Bitte gewährend, stützte sich
nun auf den ihm dargebotenen Arm seines Adjutanten
und begab sich mit ihm in das nahe Palais des Erz
herzogs A 1 b r e c h t. Am Wege dahin sagte er zuerst
zu O’Donell, die den Edelsinn Sr. Majestät und die Für
sorge für seine brave Armee in rührendster Weise
kennzeichnenden Worte: »Jetzt geht es mir, wie
m einen armen Soldaten in M a i 1 a n d.«***
Bald darauf fügte der Kaiser diesen Worten hinzu:
»O’Donell, ich sehe nichts mehr.« Nun war
* Die Tour der Begleitung war an den Flügeladjutanten
Hugo Ritter (später Freiherr) von W e c k b e c k e r. Durch
dessen Erkrankung nahm Oberst üraf O’Donell seine Stelle
ein. der aus uralter irischer Familie afcstammte, sich in den
Feldzügen 1848 und 1849 als ein sehr tapferer Ofiizier be
währt hatte und dessen Geschlecht 3 Militär-Maria-Theresien-
Ordensritter aufweist.
** Das tat das 12jährige Schulmädchen Marie Breiten-
eder, später Gattin des Baumeisters Tropsch bei der
nahen Polizeiwache, die, nachdem erst vor 3 Jahren ihre An
teilnahme an der rettenden Tat Sr. Majestät bekanntgegeben
wurde, das Glück hatte, in Audienz Sr. Majestät selbst die
näheren Umstände vorzutragen. Se. Majestät ließ ihr ein
kostbares Geschenk überreichen, und als sie bald darauf —
Februar 1910 — starb, ließ der Kaiser ihrem Gatten das Aller
höchste Beileid ausdriieken.
Am 6. Februar fand in Mailand ein revolutionärer
1 utschversuch, besonders auf die Hauptwache und auf ein-
aber schon der Kaiser beim Tore des Palais Erzherzog
Albrecht angekommeu. O'Donell führte ihn in das Vor
zimmer, ließ gleich frisches Wasser kommen, wusch
ihm Gesicht, Kopf und Hals, worauf sich Se. Majestät
sichtlich erholte.« Soweit Graf O'Donells eigene An
gaben.
Erst später erfuhr man, daß dieser wackere Oberst,
den Sc. Majestät gegenüber dem herbeigeeilten General
adjutanten Grafen Gründe als seinen »Lebens
retter« bezeichnete, in der Besorgnis, das Messer des
Mörders könne vergiftet sein, die Wunde des Kaisers
auch ausgesaugt hatte. Diese Tatsache wurde auf eine
Anfrage der Kaiserin Karoline Augusta vom
Grafen O’Donell bestätigt, er selbst bewahrte aber hier
über sowie über seine rühmenswerte Tat stets die be
scheidenste Zurückhaltung, die eine hervorstechende
Eigenschaft seines edlen Charakters war.
Der Leibarzt Dr. Seeburger und der Chirurg
Dr. Wattmann übernahmen, sofort herbeigerufen, die
ärztliche Behandlung des verwundeten Kaisers, der
durch seine erlauchte Mutter Erzherzogin Sophie die
sorgfältigste Pflege genoß, so daß er schon am 12. März
den ersten Ausgang machen und am 19. März in dem
herrlichen Stephansdom dem für seine Rettung abge
haltenen feierlichen Tedeum beiwohnen konnte.
Die ganze Welt war erschüttert über diese an dem
Leben unseres Kaisers verübte Missetat . eines durch
revolutionäre Schriften zu solchem Meuchelmorde auf
gestachelten Fanatikers, und aus allen Teilen unseres
Reiches und des Auslandes kamen die teilnahmsvollsten
Kundgebungen über die glückliche Errettung des Kaisers
aus so schwerer Gefahr sowie Ausbrüche des Ent
setzens und der Empörung über den Frevler. Fast jede
größere Stadt unseres Reiches entsandte Abordnungen
nach Wien zum Ausdruck des Glückes und der unbe
grenzten Teilnahme für die Erhaltung des Lebens des
Kaisers, die von Allerhöehstdessen Vater Erzherzog
Franz Karl in gnädigster Weise empfangen wurden.
Zahlreich erfolgten aber auch die Anerkennungen für
den Lebensretter und dem an dem Rettungswerke
beteiligten Bürger Ettenreich. Wie bei allen lobens
werten Handlungen stand auch hier Se. Majestät an der
Spitze der belohnenden Fürsten. Graf O’Donell wurde
durch die Verleihung des Kommandeurkreuzes des
Leopold-Ordens — damals wie heute eine von Seiner
Majestät sehr selten zuerkannte besondere Auszeich
nung - und durch die Erhebung in den österreichischen
Grafenstand sowie die Gewährung eines verbesserten
Wappens »für den dem Monarchen, seinem Hause, wie
dem ganzen Reiche geleisteten unvergeßlichen Dienst«.
Das Wappen selbst vereinigt in sich die denkbar höchste
Auszeichnung. In dem kaiserlichen Doppclaar ist das
kaiserliche Hauswappen als Brustschild angebracht, der
mit den Lapidar buchst aben F. J. geziert ist.
Bürger Ettenreich erhielt den erblichen öster
reichischen Ritterstand, wurde Ritter des Franz Joset-
Ordcns und der Magistrat Wiens, dessen Bewohner
stolz auf ihren an der Rettung des Kaisers wesentlich
beteiligten Mitbürger Ettenreich waren, verlieh ihm
die höchste Bürgerehrung: die große goldene Salvator-
Medaille.
zelne Soldaten statt, und es wurden auch Barrikaden er
richtet, die alrer von den herbeigeeilten Truppenabteilungen
gleich wieder zerstört wurden. Weil voreilig ausgebrochen
und von der Bevölkerung; ohne Unterstützung: geblieben, miß-
lang diese versuchte Revolutionierung Mailands vollständig.
Zehn kaiserliche Soldaten wurden bei diesen Ueberfälleh ge
tötet, 54 mehr oder minder stark verwundet. Strenge gesetz-
Uche Maßregeln wurden gegen die Aufständischen angewendet.
Seme Majestät ließ aus seiner Privatkasse 550 Dukaten an
die verwundeten Soldaten ansiolgen.
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Die seltenste Auszeichnung ward aber O'Donell und
Ettenreich von der dankbaren erlauchten Mutter des
Kaisers mit einem goldenen Ringe 'dargebracht, welcher
unterhalb eines Türkis blutgetränkte Haare des Kaisers
enthielt, welchem die Worte: »Gott vergelte es
d i r« beigefügt waren.
Graf O'Donell wurde von Wien, Prag, Pest,
Laibach, Triest und anderen Städten unseres Reiches
zum Ehrenbürger ernannt,
Die regierenden Fürsten des Auslandes wetteiferten
mit mehr als 20 Ordensauszeichnungen und vielen Dank
schreiben für den Grafen O’Donell, von denen jenes des
trachten und gelten lasse, als wäre sie an Mir Selbst
geübt.
Charlottenburg, den 8. März 1853.
Friedrich Wilhelm.«
Das schändliche Verbrechen selbst hat in der Hin
richtung Libenyis seine Sühne gefunden; erwähnt muß
aber noch werden, daß die durchlauchtigste Frau Erz
herzogin Sophie dem Missetäter in echt christlicher
Barmherzigkeit und Gnade Verzeihung angedeihen ließ
und der von ihm unterstützten Mutter sogar eine
| Jahrespension gewährte.
Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen als
hochcharakteristisch für dessen Denkweise hier einen
berechtigten Platz erhält.
»Mein lieber Oberst Graf O'Donell!
Eingedenk des teueren Schutzes, welchen Sie
Sr. k. k. Apostolischen Majestät Ihrem Herrn im
Augenblicke drohender Gefahr hingebend und ent
schlossen gewährt haben, finde Ich Mich bewogen,
Ihnen das Komturkreuz Meines Hohenzollernschen
Hausordens zu verleihen, dessen Dekoration anbei
erfolgt.
Ich habe diesen Orden einem Ausländer noch nie
gegeben, denn hauptsächlich ist derselbe bestimmt
zum Lohne der Treue gegen Meine Person seit dem
Jahre 1848. Daß Ich diese Ausnahme für Sie mache,
geschieht, weil Ich jede Aufopferung zum Schutze der
erhabenen Person des Kaisers in Meinem Herzen be-
Ueber dieses erschütternde Ereignis erschienen bald
in Zeitungen und Sonderschriften mehr oder minder ge
naue Schilderungen; die ausführlichste und verläßlichste
ist aber das noch im gleichen Jahre veröffentlichte
Buch des Dr. Alexander V o 1 p i in Padua, das dauernde
Beachtung als Stimmungsbild aus dem lombardisch
venezianischen Königreiche verdient, das, beruhigt, sich
aller aufrührerischen Bewegungen gegen unser Reich
enthielt und dessen Bewohner, ihrer Pflichten als öster
reichische begünstigte Untertanen trotz aller Einheits
bestrebungen doch eingedenk blieb, wie deren große
Teilnahme für den verwundeten Herrscher und das Er
scheinen eines so hochpatriotischen Buches aus deren
Mitte, dann der baldige Neudruck als zweite Auflage
wohl unzweideutig dartun. Besonders erfreulich war
daraus die warme Teilnahme der israelitischen
Gemeinden im genannten Königreiche und im öster
reichischen Küstenlande an den öffentlichen Dankeskund
gebungen, von denen literarisch hervorragende