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schon in der ältesten Zeit zwei Hauptarten von Ohrgehängen, solche,
welche aus zarten, beweglichen Gliedern gebildet, lang herabhängen,
offenbar für festliche, feierliche Gelegenheiten bestimmt, bei denen Jeder
sich nur ein gewisses Maß von Bewegung gestattet, und andere, welche
klein und zierlich gebildet, sich bis zum Ringe, ja bis zum Knöpfchen
vereinfachen, so dass schließlich der Charakter eines Behanges ganz ver-
loren geht und iene unter Umständen unerwünschte Rückwirkung auf
das äußerliche Verhalten des Menschen nicht mehr in Betracht kommt.
Unter den_Funden Schliemann's in Hissarlik, also schon in vor-
homerischer Zeit, erscheinen Gehänge, welche aus fünf bis sechs zier-
liehen, mit Schuppen bedeckten oder mit Perlen versetzten Kettchen
bestehen, an deren Enden bliithenförmige Anhängsel sich befinden, und
die oben an einem verzierten Plättchen befestigt sind, welches sich an
das Ohrläppchen anschließt und in einen Dorn ausläuft "). Einige der-
selben sind mehr als 20 Centitneter lang, so dass deren Enden auf den
Schultern lagen, die gewöhnliche Länge beträgt jedoch 8-10 Centimeter,
Aehnliche Ohrgehänge wurden in Gräbern aus späterer Zeit nicht gefunden;
aber nicht allein das dabei zur Geltung kommende Princip des leichten,
beweglichen Behanges, sondern auch speciell diese Form scheint nicht
ganz außer Gebrauch gekommen zu sein, da eine Anzahl von Fragmenten
aus späterer Zeit vorliegt, welche uns nur den oberen festen Theil, der
sich um das Ohrläppchen legt, versehen mit Oesen, die einst das Gehänge
trugen, repräsentiren. lndess scheint es, als hätte dieser obere Theil, der
Ansatz des eigentlichen Gehänges, auch eine eigenthümliche, selbständige
Entwickelung durchgemacht, wenigstens liegt es nahe, die sonst schwer
zu motivirende Form der sogenannten vorecchini a bauleu, deren das
Museo Gregoriano und die Eremitage in Petersburg so prächtige Stücke
bewahrt, aus einer selbständigen Ausbildung dieses Ansatzes abzuleiten.
- Zu imposanter Form, zu einem schier königlich zu nennenden Ge-
schmeide hat sich das schwere, lange Gehänge bei einigen Schmuck-
stücken entwickelt, welche in der Krim gefunden wurden, im Allgemeinen
ist aber die Zahl leichter Ohrgehänge von kleinen Dimensionen die weitaus
überwiegende. Ueberblicken wir hier die große Anzahl von Formen, so
zeigt sich die einfache Ringform nicht allein als die ursprünglichste,
sondern auch als jene, aus der zahlreiche andere Formen hervorgegangen
sind. Wie selbst schon der einfache Ring zum künstlerisch vollendeten
Schrnuckgegenstand umgebildet wurde, zeigen bereits die ältesten Funde.
Endigte der nicht ganz geschlossene Ring nach vorne knopfförmig, so
finden wir in der Regel Thierköpfe, wie Löwen, Widder u. dgl., oder
Menschenköpfe hier angebracht. Ein weiterer Schritt in diesem Formen-
schema, der ebenfalls schon in sehr früher Zeit gemacht wurde, war es,
wenn das Köpfchen sich zur ganzen Figur ausbildete. Meist ist es dann
') Schliemann,
llios, Nr. 812., 769, 770 u. A.