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vorragenden Künstler, welcher die Art des fünfzehnten Jahrhunderts
abschließt, war ein allzufrühes Ziel des Lebens gesetzt. Für ihn wurde
der Chor in Santa Maria Novella in Florenz, was die Brancacci-Capelle
für Masaccio gewesen, die Stätte seiner vollendetsten Kunst, die Stätte
seines Ruhmes und seiner Größe. Hier auf diesen Wänden erging sich
sein Pinsel in biblischen Bildern mit wahrer Freudigkeit, mit reicher
Phantasie, mit tiefem Schönheitsgeftihl und mit jeglicher Vollendung der
Technik, wie sie die zu ihrer Höhe herangestiegene Kunst darbot. Am
liebsten hätte er, wie er sagte, die Mauern von Florenz ringsum mit
Historien bemalt. Welche prachtvollen, edlen und vornehmen Gestalten
diese Frauen, Damen der großen Welt, welche bei der Geburt Mariens
zu Besuch erscheinen! Welche Größe, welche Würde und Kraft in seinen
Männern und ihrer breiten, reichen Gewandung! Welcher Glanz, welcher
Reichthum in jener Wochenstube, einem Gemache des schönsten Flo-
rentiner Palastes würdig! Obwohl die Gegenstände noch alle kirchlich,
gehört doch alles, Architektur und Landschaft und Menschen und Dinge,
dieser blühenden, an allen Reizen des Geistes und des Auges, an jeder
Schönheit Freude emplindenden Epoche der italienischen Cultur an.
ln Ghirlandajo liegt bereits ein Zug von michelangelesker Größe,
und nicht umsonst wird er der Lehrer BuonarottVs genannt. Ebenso aber
auch kann man Ghirlandajo in Rafael wiederfinden, wenn auch dieser,
alle vorausgegangene Kunst zusammenfassende Meister derselben ein
neues, das ideale Moment hinznfügte und damit zugleich der Erweiterer
und der Vollender der ganzen Kunstbewegung dieser großen Epoche wurde.
Zwei Dinge waren es, die zu dieser Zeit umgestaltend auf die
Kunst einwirkten und mit dieser Wirkung auch die Malerei in der
Kirche in entscheidender Weise trafen. Das eine war die Oelmalerei,
das andere das Wiederaufleben des classischen Altertbums.
Die Oelmalerei, welche in diesem Stadium der Entwickelung auch
in Italien in allgemeine Anwendung kam, hatte nicht blos die Folge,
dass das Detail feiner ausgeführt, das Colorit tiefer, satter und glän-
zender wurde, sondern auch diejenige, dass das Staffelei- oder Tafel-
gemälde vor der Wandmalerei den Vorzug erhielt. Und nicht genug an
dem, wurde auch das Wand- oder Frescogemälde, statt der großen
zusammenhängenden Cyklen, welche bisher alle Flächen bedeckten, mehr
zum Einzelbilde, wovon z. B. RafaePs Sibyllen ein schönes Beispiel geben.
Von größerer Bedeutung aber für unseren Gegenstand, die Malerei
in der Kirche, war der zweite Umstand, die Wiedererweckung des clas-
sischen Alterthurns in Kunst, Wissenschaft, Literatur, in Leben, Denken
und Empfinden. Da die gebildeten Menschen dieser Zeit bis zu den
höchsten Stufen selbst der geistlichen Throne hinauf sozusagen Heiden
wurden, so konnte dieses heidnische Element auch der Kunst nicht fern
bleiben, ja mit der Allgemeinheit "und Mächtigkeit, mit der es auftrat,
musste es die ganze Kunst umschalfen. Am Studium der Alten hatten