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nisse kann sich heute der Wahrnehmung nicht verschließen, dass sich die
ganze Bewegung der industriellen Production auf das Gebiet der ange-
wandten Kunst hinüberspielt. Die Nationen müssen diesem Vorgange,
welcher das Resultat einer nothwendigen inneren Reaction ist, mit ge-
wissenhaftester Aufmerksamkeit folgen, um im gegenseitigen Concurrenz-
kampfe ihre Stellung zu behaupten. Es war damals eine Zeit, welche La-
borde mit den treffenden Worten charakterisirtet "Des conceptions banales,
fabriquees en gros, sont imposees a toutes les industries, au lieu de les
faire nailre du milieu de leurs besoins. Uhabilite meprisable des faiseurs
est substituee a Pobservation reflechie et Vetude patiente qui combine
les donnees les plus pures de Yetude de l'art avec la connaissance appro-
fondie des moyens d'execution et de la destinationß
Die Großindustrie litt an einem auffallenden Mangel künstlerischer
Initiative, ein Umstand, der durch das fiebermäßige Umsichgreifen der
Maschinenarbeit bis zum Aeußersten verschärft wurde. Die Thätigkeit des
Arbeiters konnte sich bald mit der der Maschine identificiren lassen. Die
geistige Befähigung wurde beharrlich negirt, die manuelle Geschicklichkeit
dagegen mehr und mehr geschätzt. Der Arbeiterstand verfiel sittlich und
geistig, indem die idiotenhafte Maschinenerziehung das höhere Leben des
Arbeiters völlig unterbinden musste. Indessen bereitete sich der Um-
schwung langsam, aber zielbewusst und in mächtiger Ausdehnung vor.
Dem intelligenten Blick des Fabrikanten blieb es nicht verschlossen,
dass er in dem gewaltigen Kampfe der Maschinenarbeit nur dann empor-
kommen konnte, wenn er den Charakter seiner Erzeugnisse mehr und
mehr auf das Gebiet der menschlichen Intelligenz als auf das der maschi-
nellen Regelmäßigkeit und Productivität überspielte. Er lernte bald
erkennen, dass die lntelligenz und der Geschmack des Arbeiters ein
unerschöpfliches Capital sind; indem man beide zur vollen Entfaltung
kommen lässt, von verrait la prosperite regnet dans un petit pays, ou
une contree peu favorisee par la nature, aussi bien qu'au sein des grands
empires et sous les latitudes les plus richment douees." (Eugene M. O.
Dognee, l'art et l'industrie. Liege 1863.) Diese mit Hinblick auf Belgien
geschriebenen Worte haben auch für Böhmen volle Giltigkeit.
Zu den interessantesten Beispielen für die Frage, welchen Einfluss
die angewandte Kunst auf die lndustrie, den Volkswohlstand und das
Wohlbefinden der Arbeiter hat, gehört die Lage der französischen Seiden-
industrie. Lyon bildet das hervorragende Centrum der bedeutendsten
Seidenindustriebezirke Frankreichs. Die Weberei, früher zum größten
Theile Handwerksweberei, zum geringeren Theile Hausindustrie, war
eine Weberei der faconnirten, von der Kunst geadelten Seidengewebe.
Die berühmteste Epoche in der Geschichte der Lyoner Fabrication, die
Epoche eines Revel und eines Philipp de la Salle, war ausgezeichnet
durch Meisterwerke der Zeichnung, der Farbe und der Webetechnik. Mit
der zunehmenden Einführung des mechanischen Webestuhles im Großen