des Vorderhauses der Berliner Sezession überführt und ein vornehmes selbständiges
Heim geschaffen. Kein größerer Name konnte dieses kühne Unternehmen besser einleiten
als der des Norwegers Edvard Munch, dessen Lebenswerk gezeigt wird.
Man hat seinen Namen zu einem Programm gemacht, hat ihn den Vater des
Expressionismus genannt, hat in ihm den Überwinder des Impressionismus gefeiert. Wahr
ist, daß er schon fast vor zwei Jahrzehnten gegenüber dem Impressionismus mit seinem
verfeinerten Augenreiz die zwingende Gewalt des inneren Erlebens in das Zentrum der
bildnerischen Gestaltung rückte. Wahr ist aber auch, daß die große Freiheit seiner
schöpferischen Intuition mit ihren starken, anschaulichen Bildwerten nur schwer mit dem
subtilen Raisonnement jener modernen „AusdruckskiinstleW zu Paragraphen eines
Programms gemacht werden kann.
Mit dem Mute seines eigenen Erlebens war er ein einsamer Mann. Das Verkanntsein
führt solche starke Naturen aber nur tiefer zu sich, so daß ihre Entwicklung die Ähnlich-
keit mit einem organischen Naturprozeß gewinnt. Der Gegenstand seines inneren Erleb-
nisses ist der Mensch seiner Zeit und der Grundton ist tragisch. Der Konflikt der Seele mit
sich selbst und der des Willens mit der Welt sind die beiden Ausgangspunkte seiner
Gestaltung. Das „Bild" zu diesen tragischen Gesichten findet er im Alltag. Doch nie ist ihm
dieser Motiv. So sozial er anfangs seine Themen einkleidet, so allgemein menschlich ist
doch der Gehalt. In der Lithographie seines „Sterbezimmers" gibt es keinen dramatischen
Vorgang und der seelische Akzent der einzelnen Person ist gering; keine Geste. Man könnte
sagen mit einem psychologischen Terminus, daß er den „punktuellen Sitz" der Seele auf-
hebt und die Landschaft der Seele gibt. Warum muß man bei ihm wieder vom ver-
urteilten „Inhalt in der Kunst" reden, von der Mutter, die trostlos am Krankenstuhl des
Kindes zusammenbricht, von dem hoffnungslosen Trennungsschmerz zweier Liebender!
Die zwingende Notwendigkeit der Gestaltung aus einem tiefen' Erlebnis ist es, die uns
bannt, das Symbolische. So hat er die Tragödie von Mann und Weib gedichtet, nie das
Motiv, nie die Dramatik des Moments mit seinen anregenden Ausdruckspointen. Für solche
Bildgestaltungen konnte nur die Graphik wahrhaftigen Ausdruck geben. Das optisch Imi-
tative vermag sie auf ein Minimum zu reduzieren. Vor der Kupferplatte, dem I-Iolzstoek
und dem Steine wurde auch Munch bald ein ganz Eigener. Ohne Experimente ging dies
anfangs zwar nicht ab. Doch steigert er bald die bloß stilisierten Flächen des Plakatstils
im Holzschnitt durch seine Ausdruckswerte zu der Kraft eines Monumentalstils und die
Strichlagen der Radierung weichen dem freien Zug der Nadel, die über die Platte fährt wie
die Kohle über das Papier. Immer spürt man, daß diese Fläche, dieser Strich so gesehen
ist und nicht die technische Übersetzung einer Zeichnung ist, die zugrunde liegt. Darum
ist alles in seiner Graphiktechnik Ausdruck geworden. Stil ist nicht, wie man es konven-
tionell formuliert hat, „Weglassen des Unwesentlichen", sondern „I-Ieraustreiben des
Wesentlichen". Das zeigt deutlich Munchs Kunst. Das Stilisierte findet sich nur in seiner
frühen Zeit.
Seine Entwicklung vom Sozialen zum allgemein Menschlichen zeigt am deutlichsten
ein Blick über die Reihe der Porträte. Pose oder sogenannte Charakterhaltung hat er nie
gekannt, sie wären ihm bloßes Motiv gewesen. Die seelische Existenz war seine Aufgabe.
Bei der Lithographie „Ibsen im Cafe" bringt der Gegensatz des machtvoll weitblickenden
Auges und des Straßenlebens, das hinter diesem Auge am Cafefenster wie eine Vision
erscheint, noch eine inhaltliche Assonanz hervor. Bei der späteren Lithographie Strindbergs
ist alle Dämonie des Schaffens in den Formen des Kopfes eingefangen. So ist es in den
willensstarken Zügen Henry van de Veldes, so in der „Maske" des Schauspielers Smith.
Auch den Tieren ist er so nachgegangen. Nicht wie Slevogt in seinen Radierungen gibt er
das Temperament, sondern das Element im Tier. Auch hier sind die Ausdrucksmotive
gering. Eine Serie „Tiere und Menschen" enthüllt auch im Tier festumschriebene
Existenzen, indem der ganze Organismus, Blick und Bewegung, beim Affen, Tiger und
Bären als ein innerer notwendiger Zusammenhang erfaBt wird. Wenn die Kunst